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Kultur: Die im Dunkeln sieht man nicht

Ungewöhnliches Tanz-Hörspiel von Paula E. Paul im Spartacus

Ungewöhnliches Tanz-Hörspiel von Paula E. Paul im Spartacus Von Marion Hartig Eigentlich ist es egal, ob man in der ersten Reihe sitzt, oder weiter hinten. Nach der ersten Szene geht sowieso langsam das Licht aus und die Zuschauer um die quadratische Bühne im Spartacus sitzen im Dunkeln, im Kopf das Bild von der Anfangsszene. Von der Frau in Schwarz mit dem rötlichen, zusammengebunden Haar. Sie steht regungslos in der Mitte des Quadrats, es ist dieselbe Frau mit demselben Rock, die im Treppenaufgang als Fotomodell von der Wand blickt. Aus ihrer Bluse ragt ein dickes Kabel, es verbindet sie mit einem Eisenträger unter der Decke. Am Rand sitzt hinter einem Notenständer aus Holz ein Mann mit einer Viola und spielt eine zarte Melodie, die Hintergrundmusik für einen Roadmovie durch die ungarische Tundra sein könnte. „Ein Instrument und ein paar Füße. Das Stück zum Foto“, hat die Tänzerin und Choreographin Paula E. Paul ihr Stück überschrieben, das am Freitagabend im Spartacus auf dem Programm stand. Als erste Veranstaltung von VIP, der „Variation-ist-Programm“-Reihe des Hauses in der Breiten Straße, das seit September in Zusammenarbeit mit dem Lindenpark Kultur und Party anbietet. Der Titel des Stücks machte offensichtlich neugierig: Die Sitzbänke um die Bühne waren gut besetzt. Und das blieben sie auch während der Zwanzig-Minuten-Aufführung. Dabei wäre es an diesem Abend durchaus verständlich, wenn Zuschauer die Flucht ergreifen. Schließlich ist es gewöhnungsbedürftig, in einem unbekannten Raum mit unbekannten Nachbarn zu sitzen, nichts zu sehen und sich allein per Ohren zu orientieren. Ein gewagtes Experiment, das Paula E. Paul da mit dem Publikum veranstaltet. Es gehört viel Mut dazu, einen unsichtbaren Tanz auf die Bühne zu bringen. Aber ihre Idee geht auf. Wenn auch immer wieder einmal ein Zuschauer unruhig mit seinem Programmzettel raschelt, Viola und Tanz fesseln, und zwar ganz und gar. Wild oder langsam, einfühlsam oder rhytmisch hallen die Schritte durch den Raum und lassen Bilder eines Tanzes entstehen, der allein im Kopf entsteht. "Befreiung von Äußerlichkeiten“, nennt die Tänzerin die bezweckte Wirkung. Der offenbar rauschend getanzte Flamenco geht in einen stillen Tanzrhythmus über, endet in einem trommelnden Schrittfeuer. Das melodiöse Violaspiel, die leichten, spazierenden Schritte, werden immer schwerer, verdichten sich zu einem Donnern und Poltern. Ein Wecker wird aufgezogen, etwas scharrt wie ein Besen über den Boden, etwas Schweres fällt herunter, man hört, wie ein Tuch ausgeschüttelt wird. Das Publikum sitzt konzentriert, versucht zu identifizieren, das Hörchaos zu ordnen. Eine Tür öffnet sich qietschend, Münzen klappern aneinander, schwerer Atem, wieder die Tür. Eine zusammenhängende Geschichte oder doch eine zufällige Geräuschkette? Der Zuschauer wird neugierig und mitgerissen vom Taumel der klappernden Schuhe auf hartem Untergrund. Die Viola, einfühlsam gespielt von Leo Klepper vom Deutschen Sinfonieorchester Berlin, gibt den Takt an oder zieht sich zurück, dominiert den Tanz oder ist weiche Hintergrundmusik. Dennoch spielt das Instrument nur eine sekundäre Rolle, im Mittelpunkt steht ganz klar die Tänzerin. Sie dreht sich auf der Bühne und um sie dreht sich das Stück. Unvollständige Wahrnehmung, Verlust an Information - nicht zum ersten Mal befasst sich die in Berlin und Potsdam tanzende Paula E. Paul mit diesem Thema. Unter der Regie von Jo Fabian stand sie in „Blown away“ im Theater am Halleschen Ufer in Berlin auf der Bühne, als Tänzerin, die sich nach einer vom Publikum nicht gehörten Musik bewegt. Dieses Mal ist die Tänzerin noch einen Schritt weiter gegangen. Sie hat dem Tanz das Visuelle genommen, die gezeigte Körpersprache besteht nur noch aus Geräuschen. Dem Zuschauer bleibt nichts, als sich auf das Zusammen von Musik und Schrittakustik einzulassen. Allein daraus bezieht das Stück seine durchaus bildhafte Ästhetik - und das Auge bleibt dabei außen vor. Am Schluss schocken, bevor das Licht angeht, blendende Blitze die Augen des Publikums. Dann sieht man sie wieder, die Tänzerin. Sie steht im weißen Krankenschwester-Jeanskleid auf der Bühne, in ästhetischer Pose, den linken Arm in der Waagerechten, die Finger bis in die Spitzen gestreckt. Das Spiel ist vorbei. Sie steht regungslos, wie auf einem Foto.

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