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Kultur: Das Problem mit der Faulheit

Oblomow hätte nur mit den Schultern gezuckt – „Recht auf Faulheit“ im Filmmuseum

Oblomow hätte nur mit den Schultern gezuckt – „Recht auf Faulheit“ im Filmmuseum Faul sein. Eigentlich dürfte nichts leichter sein als das. Doch schon mit dem Begriff fängt es an. Faul: wie madig vier Buchstaben doch klingen können. Die Leistungsgesellschaft hat uns scheinbar derart geprägt, dass Stillstand mittlerweile als die Todsünde schlechthin gilt. Und auch der Bundeskanzler tönte vor nicht allzu langer Zeit „Es gibt kein Recht auf Faulheit“, die bekannte Maxime von Paul Lafargues, Schwiegersohn Karl Marx’, verkehrend, der genau dieses Recht auf Bequemlichkeit forderte. Ilja Oblomow, die personifizierte Faulheit schlechthin, hätte über derartige Diskussionen nur müde mit den Schultern gezuckt und seinen Diener Sachar, wie so oft, einen giftigen Menschen gescholten, der ihn mit derartigen Kalamitäten nicht weiter belästigen solle. Mit dem Film „Tage aus dem Leben Ilja Oblomows“ beschloss am Montag die Rosa-Luxemburg-Stiftung e.V. und das Filmmuseum die Veranstaltungsreihe „Recht auf Faulheit“. Der berühmte, 1869 erschienene Roman „Oblomow“ von Iwan Gontscharow, neben Dostojewski und Tolstoi einer der großen Realisten in der russischen Literatur, diente dem Regisseur Nikita Michalkow als Vorlage. Mit Oblomow, einem Landadligem, dem jegliche Antriebskraft fehlt, der zwischen Essen, Schlaf und Träumereien den Tag verbringt und dabei nicht einmal die kleinsten Erledigungen bewältigt, schuf Gontscharow eine Figur, die von der Zeit längst überholt war. Die Bedeutungslosigkeit des Adels wurde nie deutlicher als zu Beginn der Industrialisierung. Das Gegenstück zu Oblomow ist sein Freund Andrei Stolz, Sohn deutscher Einwanderer, der sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt und nach größtmöglichen Besitz strebt. Sowjetisches Menschenbild Über zwei Stunden lässt Michalkow seinen Film dahin mäandern. Und man braucht das Entstehungsjahr 1979 gar nicht zu kennen, um schon nach kurzer Zeit zu wissen, welches sowjetisch-idealistische Menschenbild dieser Film indirekt vermitteln sollte. Das war im anschließenden Gespräch zwischen Stefanie Holuba, Autorin eines Buches über Lafargues, Susanne Grunewald von der Initiative Off-Filmtage Potsdam und dem Filmkritiker Knut Elstermann kein Thema. Hier ging es vor allem um die Wirkung des Filmes, die Darstellung der Figuren Oblomow und Stolz und um Definitionen der Begriffe Arbeit und Faulheit. Als das Gespräch ans Publikum weitergegeben wurde, äußerte ein älterer Herr, dass er sich Einrichtungen und Regelungen zur Sicherung von Freizeit wünsche. Ähnlich wie Gewerkschaften und Arbeitsschutzmaßnahmen solle man so vor bestimmten Fernsehprogrammen und übermäßiger Werbung geschützt werden. Als ob die bloße Existenz bestimmter Fernsehprogramme und der Werbung einen dazu zwingt, fernzusehen oder einzukaufen. Freizeitgestaltung durch Fremdbestimmung. Bei solchen Wünschen stehen einem wahrlich die Haare zu Berge. Nur zurückhaltend, von Susanne Grunewald und einem Zuhörer, wurde dem widersprochen. Manche der Anwesenden fühlten sich gar ermuntert, ebenfalls in diese Kerbe zu schlagen und machten persönliche Empfindungen gleich zu etwas Allgemeingültigem. Langsam beschlich einen das bekannte Gefühl, dass die hier vielgepriesene Faulheit zu oft noch das Denken befällt und so zu kurzsichtigsten Schlüssen führt. Da wurde einem der feiste und träge Oblomow richtig sympathisch. Und noch einer, sich in dieser Diskussion abzeichnenden Tendenz muss widersprochen werden: Dass Faulsein heutzutage so unwahrscheinlich schwierig sei. Stimmt nicht, das ist ganz, ganz einfach. Dafür braucht man überhaupt nichts zu tun. Dirk Becker

Dirk Becker

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