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Kultur: Das fötale Wunder

„Ultraschallkunst“ in den Bahnhofspassagen

„Ultraschallkunst“ in den Bahnhofspassagen Es ist ein Mysterium. Jedes neue Leben, das sich in der weiblichen Uterushöhle zu regen beginnt, ist ein Wunder, immer wieder neu, immer wieder unverständlich, immer wieder erregend und erfreuend. Meistens, jedenfalls. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass die Medizin immer weiter in dieses Geheimnis guter Hoffnung vordringen möchte und nunmehr schon seit zwei Jahrzehnten jeder Schwangeren erste Bilder des Embryos liefert. Inzwischen kann man sogar die befruchtete Eizelle durch die vom menschlichen Ohr nicht wahrnehmbaren Schallwellen sichtbar machen. Die Ultraschalltechnik, auch Sonographie genannt, hat eine komplett veränderte Kultur der Familiengeschichte erzeugt. Heutigen Kindern und Jugendlichen wird nicht, wie das früher der Fall war, das erste Babyfoto gezeigt. „Das bist Du in der zwölften, siebenundzwanzigsten und sechsunddreißigsten Woche“, sagt die Mutter und zeigt stolz auf einen winzigen weißen Fleck in der Ursuppe oder auf eine später gemachte Nahaufnahme, in der man den nuckelnden, glücklich sich wiegenden Winzling erkennen kann. Kein Wunder also, dass auf diesen auf schnell vergilbendes und sehr leicht reißbares Papier gedruckten Aufnahmen die sentimentalsten Erinnerungen wuchern. Transportieren sie doch meist gleichzeitig das damalige noch innige Verständnis der Ehepartner, die sich gemeinsam auf ihren Nachwuchs freuten und schon früh die möglichen Ähnlichkeiten mit der Mutter oder dem Vater erkannten. „Ganz deine Nase“, „ja, aber dein Lächeln“, so sitzen die werdenden Eltern babytrunken vor dem Foto des Unfassbaren. Solches Andenken möchte man bewahren, nicht nur auf diesen kleinen Wegwerfzetteln, wie sie die Gynäkologen in technikkalter Effizienz ausdrucken, sondern so, dass alle Erwartungen, positiven Gefühle und vor allem die Mystik des Ungeborenen erhalten bleiben. Dafür gibt es nun „Ultraschallkunst“. So jedenfalls nennt Tatjana Ranglack, Potsdamerin, dreifache Mutter und Werbegrafikerin, ihre Serie von umgestalteten Ultraschallbildern, die derzeit in der „Kunstplattform“ der Bahnhof-Passagen schweben. Sie hat die Minifotografien auf große Leinwände gebannt und so bearbeitet, dass störende Schlieren entfernt und die Umrisse der Embryonen deutlicher wurden. Zudem spielte sie mit Farben und hat den wabernden Uterus in rot, grün oder blau changierende einheitliche Flächen verändert. In der Mitte prangen die Föten, goldig. Wie goldig. Mit Blattgold hat sie die Kleinsten aus den unterschiedlichsten Schwangerschaftswochen bearbeitet, sie schwimmen zufrieden im glänzenden Glück. Sogar Zwillingsfotos hat die Werbegrafikerin organisiert und in ihre „Ultraschallkunst“ einverleibt. Letztlich trifft diese verwegene Selbstbezeichnung nicht. Tatjana Ranglack überzieht das vorgeburtliche Mysterium mit einem goldig-süßen Zuckerguss, der lediglich zum verzückt-sentimentalen Freudentaumel animiert, weitere Regungen sind ausgeschlossen. Das ist keine Ultraschallkunst, das ist Ultraschallkitsch. Lore Bardens Die Ausstellung ist in der Kunstplattform der Bahnhofspassagen bis 13. Februar täglich von 15 bis 18 Uhr geöffnet.

Lore Bardens

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