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Kultur: Bunte Wahlverwandtschaft

Die FH-Galerie zeigt die Berliner Fotoausstellung „Familienstudio Kotti“ / Ein Versuch mit dem Begriff Familie zu experimentieren

Die FH-Galerie zeigt die Berliner Fotoausstellung „Familienstudio Kotti“ / Ein Versuch mit dem Begriff Familie zu experimentieren Sie haben sich eine komische Familie zusammengesucht. Eine Lederjackenbraut mit kurzem Haar steht mit einem gestylten Anzugträger zusammen. Zu ihren Füßen liegt eine Blockflötenspielerin mit langem Hemd und Mittelalterhut. Im Hintergrund lehnt ein Typ mit altem Wollpulli und Patchworkhose an der Wand. Eine Familie wie sie in keinem Bilderbuch steht. Völlig willkürlich haben Passanten am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg die vier aus den vorüberziehenden Stadtgängern für ein Familienfoto herausgepickt. Eine Familie auf Zeit. Rund 15 solcher Gruppenbilder hängen bis zum 15. April unter dem Titel „Familienstudio Kotti“ in der Galerie der Fachhochschule Potsdam. Sie sind an zwei Tagen im Oktober 2001 entstanden. Und haben mehr gemein als nur die beiden gestreiften Klapphocker und die gemalten Hintergründe, ein Stück Stadtviertel, Meereslandschaft oder das Interieur eines Kaminzimmers. Das zufällige Publikum hatte in dem Kunstprojekt der Initiative Kunstcoop die einzigartige Gelegenheit, sich und andere als temporäre Familie zu inszenieren. Die witzige wie engagierte Idee kam von der Berliner Künstlerin Bill Masuch. Mit dem Obdachlosentheater „Ratten 07“, das spätestens mit dem Rosa-von-Praunheim-Film „Kühe im Nebel geschwängert“ (2002) bekannt wurde, und den Regisseurinnen Christine Umpfenbach und Antje Wenningmann hat sie sich das „Familienstudio Kotti“, die „ästhetische Intervention inmitten eines sozialen Brennpunktes“, wie FH-Professorin Hanne Seitz formuliert, erdacht. Das Ergebnis ist ein Hingucker. Eine zierliche alte Dame in blumenbuntem Kleid, unter dem eine geopardengemusterte Hose hervorlugt, steht mit Eis in der Hand neben einem coolen Typen in Jeans, einem intellektuellen, langhaarigen Paar mit Brille und einem Mann mit weißem Rauschebart. Punks und Rapper, Mütter und Managertypen, Obdachlose und Kinder bringt das Publikum zusammen, Berliner, die zufällig wohl nie aufeinander getroffen wären. Auf jedem Foto sind interessante Menschen zu sehen, mit verschiedenen Hautfarben, offensichtlich unterschiedlich dicken Geldbeuteln und völlig anderen Lebensweisen. Und doch. Geht man an den Bildern vorüber, fangen die Motive an, sich zu wiederholen. Mal sitzen die Protagonisten aufrecht auf dem Hocker, mal stehen sie mit elegant vom Körper gestreckten Arm an den Kamin gelehnt, mal sitzen sie aneinander geschmiegt auf einer kaum sichtbaren Pappe auf dem Bürgersteig. Ihre Körperhaltung orientiert sich an Fotovorlagen, die ungefähr so wie Rembrandts „Bild einer unbekannten Familie“ ausgesehen haben müssen. Vater, Mutter und Kinder blicken steif und mit unbewegter Miene. Genauso platzieren sich die „Familienmitglieder“ am Kottbusser Tor zwischen den wenigen Requisiten. Ihre Rücken sind durchgedrückt, die Blicke schüchtern, fast verschämt, auf manchen Bildern blicken sie sich untereinander an – nur selten allerdings wird eine Beziehung unter ihnen sichtbar. Die Bilder wirken wie das, was sie sind: kunstvoll gestaltete Fotos von zufällig für den Fotoakt zusammentreffenden Menschen. Verstärkt wird diese Wirkung durch die von der Bildvorlage kopierten Körperhaltungen, der immer wieder gleichen Bildkomposition. Wodurch selbst die interessanteste Erscheinung an Individualität verliert und in gewisser Weise austauschbar wird. Viel gelungener als die Standardfotos sind die wenigen aus der Rolle fallenden Bilder. Das Gruppenfoto, auf dem sich vier Familienmitglieder nebeneinander aufstellen. Auf zwei Hockern davor sitzen ein türkisches Mädchen und ein Jean-Paul-Belmondo-Typ mit Zigarette im Mundwinkel. Die Darsteller sind nicht nur ein Sammelsurium an Vielfalt. Sie kommen auch miteinander in Kontakt. Der türkische, alte Herr legt seine Arme um die blonde Mutter und den Jungen, alle blicken in die Kamera, scheinen durch gegenseitige Sympathie verbunden zu sein. Oder das Bild mit den zwei Frauen vor dem Kamin, die sich vor Lachen kaum halten können, währen die beiden Jungen auf den Hockern davor, verkrampft versuchen, sich jede Regung zu verkneifen. Das Kunstprojekt dreht sich um ein immer aktuelles und brisantes Thema und hat ohne Frage Menschen zusammengebracht, die wahrscheinlich täglich über den selben Platz spazieren und aneinander vorbei gehen, ohne sich wirklich wahrzunehmen. Nur einen kleinen Fehler hatte das Konzept. Es hätte den Mitmachern die Gelegenheit geben sollen, sich frei aufeinander zuzubewegen und sich nicht in historische Körperhaltungen zu pressen, was den Bilder eine unnötige Künstlichkeit gibt. Und das spontane aufeinander Zugehen nimmt. Aber gerade das wäre spannend gewesen, wenn auch die Ästhetik der Bilder darunter hätte leiden können. Dennoch: Es macht viel Spaß an den bunt konstruierten Familienlandschaften vorbei zu spazieren. Wenn die Bilder auch mehr Sozial- und Kultur- als Familienporträts sind. Marion Hartig

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