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Kultur: Behüt’ Dich Gott, es wär’ so schön gewesen

„Die Utopie der Rosa Luxemburg“ mit Johanna Arndt im Alten Rathaus

„Die Utopie der Rosa Luxemburg“ mit Johanna Arndt im Alten Rathaus Von Gerold Paul An Rosa Luxemburg, die rote Rebellin aus Polen, traut sich keiner so richtig heran. Die braven SED-Genossen hielten sie trotz offizieller Januar-Ehrung deutlich auf Distanz, denn die berühmte Sentenz von der „Freiheit der Andersdenkenden“ wollte ihnen nie so recht schmecken. Auch die Fraktion von der SPD reißt sich kein Bein aus, sich ihrer einst so kämpferischen Mitgenossin zu erinnern; wer sich rechts von den Linken ahnt, sowieso nicht. Nur die im Selbstverständnis „Andersdenkenden“ loben die Polit-Ikone über den Klee. Es sind ja immer „die anderen“. So fühlte sich auch der „Verein zur Förderung musikalisch-literarischer Soireen im Alten Rathaus“ gemüßigt, Rosa Luxemburg mit einem Programm ganz abenteuerlicher Provenienz zu gedenken, zumal es auch ein 15. war, als sie zusammen mit Karl Liebknecht 1919 in Berlin ermordet wurde. Es heißt „Die Utopie der Rosa Luxemburg“. Geschrieben von dem Schweizer Theologieprofessor Walter J. Hollenweger und Estella F. Korthaus (Berlin), in Wort und Gesang von Johanna Arndt aus dem hauptstadtnahen Petershagen ausgeführt, am Klavier eindrucksvoll begleitet von Christiane Obermann, hatte es für die Besucher des Alten Rathauses eine sehr aufbauende Wirkung, man applaudierte am Sonntag mit ostentativer Wucht. Wie kommt nun ein Theologe dazu, sich mit dem Aufruhr einer Revolutionärin zu beschäftigen? „Weil sie, eine Jüdin, die Bibel besser verstanden hat als viele andere und weil sie für ihre Überzeugung mit dem Leben büßen musste", so der Programmzettel. Vermutlich fast so gut wie Hollenweger selbst, meinte die „sanfte Rosa“ doch, Christen und Sozialisten sollten sich beim „Kampf gegen Imperialismus, Ausbeutung und Kriegstreiberei“ gefälligst die Hand reichen. Aber sie kann das alles so ernst nicht gemeint haben: als Ebert und Genossen nach dem ersten Weltkrieg „anders“ dachten und ihre Republik ausriefen, schrie sie Verrat, als der Potsdamer SPD-Mann August Winnig ihr partout zuwiderredete, hätte sie ihn „am liebsten füsilieren lassen“, so anders war die gebürtige Polin. Auch sonst wusste Rosa Luxemburg (1871-1919), die immer nur „Sozialismus oder Barbarei“ verstand, nicht so genau, was sie wollte. Sie schmähte den Kaiser und verlegte ihren Wohnsitz von Zürich ausgerechnet nach Berlin. Sie beklagte die Toten des Krieges, um dann eine rote Republik zu fordern, die ohne Blut niemals zu machen ist. Sie heiratete, ergab sich dann aber Leo Jogiches, welcher freilich „die Partei“ viel mehr liebte als sie. Als das schiefging, warf sie sich dem Zetkin-Spross Konstantin als „Geliebte und Mutter“ an den Hals. Auch ein paar Bibelsprüche (wie Brecht) hatte die erklärtermaßen „ungläubige“ Jüdin auf Lager, wenn sie (1907-1914) an der Berliner „Parteischule“ Marx lehrte und die „Revisionisten“ ihrer eigenen Partei, der SPD, polemisch niedermachte. Tiefes „Verständnis der Bibel“? Wo denn? Von all’ dem sang und erzählte Johanna Arndt mit flacher Kehlstimme und wortreichen Texten, in einer Kulisse, deren schwarzbetuchter Hintergrund ein Rosa-Bild mit dem berühmten Zitat trug, an einem Pult, um „fiktive“ Parteivorlesungen zu halten, mit Tisch und Stuhl (grauer Stoff), damit aus dem Gefängnis heraus geschrieben werden konnte, alles im Verhältnis 1 : 1, also bar jeder Distanz. Zwischen den weihevoll-erbaulichen Texten und ungebrochenen Tonarten gab es Musik von Eisler und Chopin. Johanna Arndt selbst sang das jiddische Lied „Ljulenke mayu Fejgele“, von Tucholsky „Der Graben“ und den bösen Song vom „Kompromiss“, jede Menge Brecht/Eisler, darunter die „Grabrede auf den Tod eines Genossen“. Von dessen Text „Sieben Rosen hat der Strauch“ war in der szenischen Einrichtung durch Estella F. Korthaus eine für die rote Rosa bestimmt. Ihr „Vermächtnis“, darin sie unter anderen ganz unchristlich die Konfiszierung großer Vermögen und Eigentum fordert, Raub also, stand am Ende: Haltung kämpferisch, Ausdruck entschlossen. Mit „Grüß Dich Gott, es wär'' so schön gewesen“ stellte die Interpretin unmissverständlich klar, wie sie sich selbst positionierte. Vielleicht hätte sie für die Unwissenden besser ein paar Datierungen einfügen sollen. Fatal genug, ein so agitatorisches Lebenswerk (Agitatoren sind lateinisch „Treiber“) auf ein genauso fatales Zitat zu reduzieren! Nach Grübeleien über Arbeiter, die 1918 lieber Brot als rote Fahnen sehen wollten, nach einfältigen Träumen von einem „Sozialismus der weitherzigsten Menschlichkeit“, mündete die Stunde dank Hollenweger dennoch fast biblisch. Frontal zum Publikum sprachen Arndt/Obermann der Rosa letzte geflügelte Worte im Trotz: „Ich bin, ich war, ich werde sein“.

Gerold Paul

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