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Kultur: Alte Lieder in neuen Kleidern

David Timm spielte Blues-Improvisationen

David Timm spielte Blues-Improvisationen Am dritten Tag der feierlichen Weihe der Woehl-Orgel in der Friedenskirche in Sanssouci ging es fast ohne Umschweife ins Hier und Jetzt. Dass die neue Orgel auch für Musik der Gegenwart interessant sein möge, hatte sich Baumeister Gerald Woehl gewünscht. Mit einer Jazz-Symphonie und Improvisationen ließ der junge Leipziger Organist David Timm zeitgenössische Klänge auf dem neuen Herzstück der Potsdamer Orgellandschaft ertönen. Die drei Manuale und das Pedal mit jeweils 13-15 Stimmgruppen ergeben nahezu unzählige Registriermöglichkeiten, die außerdem mit vielen Effekten kombiniert werden können, wie zwei Schwellanlagen, Tremulant und Echo. Eine wahre Lebensaufgabe ist es wohl, solch eine Orgel mit ihren unerhörten klanglichen Möglichkeiten zu erkunden und in klangliches Wohlgefallen zu verwandeln. David Timm begann mit einem Stück von Johann Sebastian Bach, dem „Ricercare `a 6“ aus dem „Musikalischen Opfer“, das der Thomaskantor Friedrich dem Großen gewidmet hatte. Auch David Timm stand einst als 1. Präfekt des Thomanerchores in Diensten der Leipziger Kirche. Heute ist er als Orgelsolist, Arrangeur und Improvisiteur international bekannt. Mit dem „Ricercare à 6“ führte David Timm strahlende, symphonisch aufrauschende Klänge im vornehmlich im Principal vor. Seine „Orgelsymphonie über Themen von J. S. Bach“ ertastete die weiten Klangräume der Orgel auf vielen Wegen. Die „Fantasie“ zog zunächst mit weichen, milden Registern in den Bann, um anschließend mit vielschichtigen Klangpyramiden aufzutrumphen. Das „Adagio“ über das „Agnus Dei“ aus der h-moll-Messe erreichte meditative, mystische Wirkungen mit untergründigen Vibrationen und dunklen Klangfeldern in zurückgenommener Dynamik und schwebender Harmonik. Im „Scherzo“ setzte Timm zwei verschiedene Themen unverbunden nebeneinander, verflocht sie aber im Verlauf der dramatischen Stretta immer enger miteinander. Sprudelnde Skalenläufe und eine wiegende Melodie kontrastierten apart und riefen Extra-Beifall des Publikums hervor. Dass „The Girl from Ipanema“ und „In the Summertime“ einst auf der Orgel in der Friedenskirche erklingen würden, war nicht voraussehbar. Doch David Timm bewies Geschmack und Stil, wagte sich auch an ungewöhnliche Registrierungen und zog den kleinen Kompositionen ganz neue Kleider über. Modern verkleidet erschienen auch einige traditionelle Kirchenlieder. Paul Gerhardts „Geh aus mein Herz“ tanzte in lebhafter Rhythmik, extravagant gekleidet daher. Erfrischend klang auch das ziemlich monotone „Lobet Gott, den mächtigen König der Ehren“ als Blues-Improvisation mit vielen blue notes und swingenden Akkorden in der dezenten Basslinie. Nicht hoch genug loben lassen sich die weitsichtigen Entscheidungen des Orgelbaumeisters Gerald Woehl. Einzelne Elemente des Bauwerks, wie die bunte Glasrosette, die seitlichen goldenen Orgelpfeifen reflektieren und repräsentieren nach ihrer Freilegung im Zusammenspiel mit dem einfallenden Licht ein synästhetisches Gesamtkunstwerk aus visuellen und akustischen Reizen. Wie in einem Kaleidoskop ergibt sich eine facettenreiche und ganzheitliche Wirkung zugleich, deren Wiederherstellung Gerald Woehl wesentlich zu verdanken ist. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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