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Homepage: „Zu wenig Großbetriebe“

Prof. Wagner zu Krisen und Chancen der Wirtschaft

Prof. Wagner zu Krisen und Chancen der Wirtschaft Karstadt, VW und Opel in der Krise, was ist los mit unseren Großunternehmen? Wir sind einem großen Strukturwandel ausgesetzt, der noch nicht zu Ende ist. In vielen Industriebranchen gibt es Verlagerungstendzen in andere Länder. In Deutschland verbleiben nur noch die Führungen und die Endmontage. Die Personalkosten sind im Ostblock und in Asien niedriger. Zudem sehen die Unternehmer dort die stärker expandierenden Märkte. Haben wir es mit dem Sterben der Großunternehmen zu tun? Nein, viele Große wachsen sogar noch. Aber bestimmte Branchen haben ihre Rationalisierungswellen noch nicht abgeschlossen. Wenn man an die Gewinne denkt, sind zwar erste Früchte zu erkennen. Zum Teil sind die Gewinne sogar sehr hoch. Aber es tut sich noch nichts bei den Arbeitsplätzen. Auch wenn bei den Banken und im IT-Bereich die Aussichten etwas besser geworden sind, bedeutet das nicht, dass nun all unsere Hochschulabsolventen eine Stelle finden. Zumal die Entwicklung nicht in diesem Ausmaß den Berliner Raum betrifft. Es gibt die Theorie, dass die Zeit der herkömmlichen Lohnarbeit vorbei ist. Das ist nicht von der Hand zu weisen. In den Industrienationen werden wir in den nächsten Jahren eine Tendenz zu immer flexibleren, teilweise mehrfachen Arbeitsverhältnissen bekommen. Die lebenslangen Beschäftigungsverhältnisse in der Großindustrie gehen dem Ende zu. Hinzu kommen flexible Arbeitszeiten, die Arbeitsverträge gehen in Richtung Freiberuflichkeit und die Arbeitsplätze werden im Sinne der Telearbeit zunehmend aus den klassischen Büros in den privaten Haushalt verlagert. Die Politik spricht nach wie vor von Vollbeschäftigung. Ein trügerisches Bild. Nicht von ungefähr werden heute viele Programme unterstützt, die Selbstständigkeit fördern. Allerdings ist es damit nicht getan. Man lügt sich in die Tasche, wenn man die Leute alle hier behalten will. Die Kunst müsste angesichts der Globalisierung gerade darin bestehen, dass die Studierenden möglichst viel im Ausland mitbekommen. Dann müsste es allerdings wiederum bei uns so attraktiv sein, dass man gerne – mit wertvoller Lebens- und Berufserfahrung versehen – wieder zurück kommt. Sie haben nun den Career-Service an der Universität gestartet. Wir haben zunehmend Lehrveranstaltungen die sich mit Existenzgründung, Mittelstandsförderung oder Technologie- und Innovationsmanagement beschäftigen. Wir konfrontieren die Studierenden auch mental mit der Situation, dass sie sich auf Freiberuflertum und auch mehrere Verträge einstellen müssen. Dabei handelt es sich insbesondere auch um die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen. Allerdings ist es derzeit sehr schwer, an der Hochschule den Studierenden zu vermitteln, dass sie eine gute Perspektive haben. Vieles bleibt jedoch nicht mehr so, wie es einmal war. Wenn man sich aber rechtzeitig mit der Materie beschäftigt, gibt es häufig viel mehr Lösungen, als es auf den ersten Blick so aussieht. Man muss das Unmögliche denken. Und sich auch etwas zutrauen können. Ist Flexibilität denn realistisch? Ich fürchte, dass manches auf eine Zweiklassengesellschaft hinauslaufen wird. Die Hochschulabsolventen müssten noch am ehesten zur Flexibilität bereit sein. Wie es allerdings aussieht, wenn man mehrere Kinder zu versorgen hat oder älter wird, steht auf einem anderen Blatt. Wegen der demografischen Entwicklung wird es wohl auch sinnvoll werden, in bestimmten Phasen des Lebens anerkannte gemeinnützige Arbeiten für die Gemeinschaft zu erbringen. Arbeit ist eng mit unserer Ethik verbunden. Ein großes Problem. Wir sind christlich geprägt, damit geht der zentrale Wert der Arbeit einher. Ohne Arbeit fühlt man sich nutzlos. Wichtig wäre es nun, den Bogen zur ehrenamtlichen Arbeit zu schlagen, wobei aber an eine sinnvolle Finanzierung gedacht werden müsste. Allerdings werden wir die Volkswirtschaft auch nicht dadurch retten, dass alle nur noch ehrenamtlich arbeiten. Brandenburg soll laut einer Studie von Prognos gute Perspektiven haben. Problematisch ist, dass es hier nur sehr wenige größere Unternehmen gibt. Wenn man ein Netz an Pfosten knüpfen würde, haben wir relativ wenig Pfosten. Auch wenn wir etwa bei der Biotechnologie und im Medienbereich voran gekommen sind, es sind noch zu wenige Firmen dabei, die auf eigenen Füßen stehen. Unser Problem ist auch in der Wertschöpfungskette, dass die kleinen und mittleren nicht hinreichend mit Größeren zusammen arbeiten können, weil nämlich kaum welche vorhanden sind. Wir sind jetzt auf das Wachsen von Zellkulturen angewiesen. Im Großraum Berlin, Potsdam, Teltow, Ludwigsfelde und Brandenburg wird sich sicherlich noch etwas tun, vor allem auch, wenn Schönefeld ausgebaut bist. Aber ich weiß nicht, was z.B. aus der Lausitz wird. Obwohl es dort viele Ideen und Initiativen gibt. Die Großen bleiben also unabdingbar? Man darf nicht vergessen, dass man für die Entwicklung neuer Autos oder Pharmaka Milliarden von Euro braucht. Die Forschung ist wichtig, das können häufig nur die Großen. Andererseits sind die großen weltweit agierende Firmen mittlerweile so durchrationalisiert, dass sie sich keine „Wasserköpfe“ mehr leisten können. Die Bereiche, die mit internen Dienstleistungen zu tun haben, werden tendenziell bis auf Kernbereiche outgesourct. Insofern entstehen immer mehr mittlere bis kleinste Zulieferfirmen. Wir brauchen sowohl die Großen als auch die Kleinen. Wir haben zwei sich auf den ersten Blick widersprechende Entwicklungen: Einerseits zu globalisierten Großunternehmen, andererseits bei den Arbeitskräften eine Tendenz zur Individualisierung und Flexibilisierung. Hier handelt es sich um zwei Seiten einer Medaille. Welche Entwicklung sehen Sie? Wir dürfen die Entwicklung z.B. in Asien nicht unterschätzen. Dort gibt es sehr arme Länder, die ein hervorragendes Akademikerpotenzial herangezogen haben. Aufgrund des niedrigeren Lebensstandards ist hier die Motivation häufig viel größer als bei uns. Wir brauchen daher mehr Interkulturalität. Unsere Studenten müssen im Ausland mehr Weltoffenheit erlangen. Die Konzentration auf Brandenburg alleine kann es nicht sein. Gleichzeitig brauchen wir bei uns eine Arbeitswelt, wo nach den Lebens- und Arbeitsphasen stärker differenziert wird. Man muss als jüngerer Mensch Kinder leichter erziehen können, vielleicht durch die Hilfe zwischen Älteren und Jüngeren. Auch kann man als älterer Arbeitnehmer etwas weniger pro Woche arbeiten und den Jüngeren helfen, so dass alle wechselseitig etwas voneinander haben. Von der Osterweiterung müsste unsere Region doch profitieren? Wenn wir die Region Berlin z.B. mit Wien vergleichen, dann ist die österreichische Hauptstadt dort eine Metropole für Industrie und Dienstleistungen, Berlin aber nicht. In Wien ist die Affinität zu Ungarn, Tschechien und der Slowakei viel größer. Auch bei den Sprachkenntnissen steht man besser da. Dort ist vieles schon vor der EU-Osterweiterung gelaufen. Bei uns hat man vieles verschlafen oder geglaubt, es komme von selbst. Bestimmte Gegenden im Westen, wie etwa die Bankenhochburg Frankfurt haben sogar bessere Beziehungen zu Osteuropa aufgebaut als Berlin, da es hier in den vergangenen Jahren keine Ballung von Banken und Versicherungen gab. Hinzu kommt, dass Berlin als Luftdrehkreuz im Gegensatz zu anderen Regionen zurück ist. Auch wenn sich die Lohndifferenz in den kommenden Jahren abbauen wird: In den bis dahin vergangenen Jahren wird dann entscheidendes passiert sein. Wie fällt Ihre Prognose aus? Meine große Hoffnung ist, dass man trotzdem in Berlin und Brandenburg die Zeichen der Zeit erkennt. Die Fusionsdebatte zeigt aber eher eine Verzögerung. Die verschobene Fusion von Brandenburg und Berlin ist aus wirtschaftlicher Sicht eindeutig das falsche Signal. Auch wenn angesichts der hohen Schuldenberge in beiden Ländern eine Länderehe derzeit schwer zu vermitteln ist. Die vergleichsweise niedrigeren Löhne in Brandenburg werden vom hiesigen Wirtschaftsministerium als positiv gewertet. Werden wir zum Billiglohnland? Wenn man sieht, dass die Menschen hier zu einer hohen Produktivität fähig sind, zugleich aber die Löhne nicht so hoch sind wie in anderen Regionen, dann ist das grundsätzlich positiv: ein Alleinstellungsmerkmal. Wenn man aber als Klein- oder Mittelunternehmen in Baden-Württemberg mit 1500 bis 2000 Arbeitnehmern die Chance hat mit seiner Dependance nach Brandenburg oder nach Tschechien zu gehen, dann ist die Verführung groß, gleich weiter nach Osten zu ziehen. Dann ist man näher am Markt dran. Die Entwicklung wird an Brandenburg vorbei gehen, wenn nicht noch glaubhafter deutlich wird, dass man eine Brücke zwischen Ost-West ist. Es muss klar werden, wozu eine Niederlassung in Brandenburg nützlich ist. Da ist noch einiges zu tun. Was ist die Gretchenfrage für Potsdam? Gewissermaßen als visionärer Blick nach vorne: Hasso Plattners Campus am Jungfernsee. Wenn dieser Nukleus mit Firmen, z.B. aus Forschung und Entwicklung gefüllt ist, dann ist hier das Gröbste überstanden. – Das Gespräch führte Jan Kixmüller Prof. Dieter Wagner hat bei den Wirtschaftswissenschaften der Universität Potsdam den Schwerpunkt Organisation und Personalwesen. Er leitet auch die Gründerinitiative BEGIN.

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