zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Wenn der Star ein Ständchen gibt

Babelsberg liegt „Beyond the Sea“ – dank einer Gesangseinlage in der Staatskanzlei

Babelsberg liegt „Beyond the Sea“ – dank einer Gesangseinlage in der Staatskanzlei Von Sabine Schicketanz Der Mann ist über jeden Zweifel erhaben. Selbstbewusst wirkt er, als er mit langsamen Schritten das leere Filmstudio durchquert. In seinem dunklen Sakko, mit Hemd und Krawatte, sieht er fast aus wie ein Staatsmann. Nur die Jeans, die er dazu trägt, lässt auf anderes schließen – allerdings nicht gleich auf Hollywood. Kevin Spacey ist der geborene Anti-Star. Mit gekonntem, geduldigen Lächeln stellt er sich dem Blitzlichtgewitter der Fotografen, ergreift auf Wunsch immer wieder die Hand des Ministerpräsidenten und schüttelt sie. Dieser Freitagmittag ist erst der zweite offizielle Pressetermin, den der US-Schauspieler absolviert, seit dem er Anfang November seine Arbeit in Babelsberg begonnen hat. „Beyond the Sea“ heißt der Film, den Spacey hier dreht, und dass er es tun kann, dafür muss er Ministerpräsident Matthias Platzeck zumindest ein bisschen dankbar sein. Vor einigen Monaten, im Büro von Brandenburgs Regierungssprecher Erhard Thomas, gab es nämlich doch Zweifel. Nicht am Können des Mannes, der in der bissigen Vorstadtsatire „American Beauty“ als desillusionierter, sexsüchtiger Vater brillierte und dafür die begehrte Oscar-Trophäe als bester Darsteller erhielt. Aber daran, ob Kevin Spacey für seinen neuen Film, in dem er Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller in einem sein wollte, eine Millionen-Bürgschaft des Landes bekommen sollte. Als Erhard Thomas ihn nach seinem Konzept für den Streifen fragte, bot Spacey ohne Zögern sein bestes Argument auf: Er stand auf und sang „Beyond the Sea“ – den Song, nach dem er seinen Film benannt hat, weil mit ihm Bobby Darin berühmt geworden ist. Zehn Jahre war Spacey mit der Idee schwanger gegangen, das Sein dieses Mannes, der es in nur 37 Lebensjahren aus der Armut der Bronx auf den Entertainment-Olymp geschafft hat, zu verfilmen. Da sollte es nun, in dem Büro in der Potsdamer Staatskanzlei, keine Komplikationen mehr geben. Also sang Spacey. Nach diesem Auftritt, scheint es, mussten nur noch die Wirtschaftsprüfer an die Arbeit gehen. Das dauerte zwar länger als von den Filmemachern erhofft, doch letztendlich war die Bürgschaft kurz vor Weihnachten unterschrieben. Damit sichert das Land Brandenburg einen 4,8 Millionen Euro-Kredit ab, mit dem sich die Studio Babelsberg Motion Pictures als Koproduzent an Spaceys Film beteiligen können. Ein „kalkuliertes Risiko“ nennt der Ministerpräsident das – er hat volles Vertrauen, dass der Film nicht floppt. Denn ansonsten müsste das Land einspringen und zahlen. Dass dies geschieht, ist ziemlich unwahrscheinlich. „,Beyond“ kann den ganzen Weg gehen“, sagt Henning Molfenter, Babelsberg Produktionschef, und meint damit, dass der Film vielleicht sogar Oscar-Format haben könnte. Nur eine halbe Stunde muss man Spacey bei der Arbeit zuschauen, dann glaubt man das aufs Wort. I love you! Cut! Wer die Familie Darin in New York, im Armenviertel Bronx besuchen will, muss in die Babelsberger Marlene-Dietrich-Halle gehen. Ein paar wackelige Holzstufen führen zu einer geräumigen Wohnung, die den verblichenen Charme der zwanziger Jahre ausstrahlt, obwohl die Fünfziger schon begonnen haben. Dunkler Holzfußboden, abgenutzte Möbel, in einem der Zimmer ein Doppelbett, auf dem eine Patchworkdecke ausgebreitet liegt. Was die Babelsberger Kulissenbauer hier erschaffen haben, ist ein Meisterwerk der Filmhandwerkskunst. Aus dem Zimmer ganz am Ende des Ganges erklingen Mundharmonikatöne. Auf dem weiß bezogenen Bett liegt ein Junge, dunkelbraune Haare, Augen, die man kaum vergisst, hat man einmal einen Blick von ihnen erhascht. William Ullrich heißt das Kind, das seelenruhig Musik macht, während sich um es herum Beleuchter und Kameraassistenten der Enge wegen fast auf die Füße treten. William ist zehn, zuletzt stand er an der Seite von Antonio Banderas auf einer Musical-Bühne am Broadway, jetzt spielt er in Babelsberg den jungen Bobby Darin, und im Moment muss er warten, bis alles drehfertig ist. Seine Instruktionen von Regisseur Kevin Spacey hat er schon bekommen: Der kleine Bobby liegt schwer krank im Bett, er wimmert vor Schmerz und hustet erbärmlich. Das alles will Kevin Spacey von dem Zehnjährigen sehen, als nach ein paar Minuten die erste Klappe für diese Szene geschlagen werden kann. Dazu steht er außerhalb der Wohnung auf einem kleinen Podest, dort sind die Regiestühle aufgestellt und die Fernseher, auf denen zu sehen ist, was die Kamera filmt. Ganz dicht rückt Regisseur Spacey an die den flimmernden Bildschirm heran, per Walkie-Talkie gibt er Anweisungen: „William, hörst du mich? Du bist sehr, sehr, sehr, sehr, sehr krank“, sagt er. „Du leidest, und du hustest. Aber übertreibe nicht, das kannst du mir überlassen.“ William bemüht sich, aber Spacey ist nicht zufrieden. Er rennt in die Wohnung, ans Bett des Jungen. Als er wieder kommt, ist er zuversichtlich. Und tatsächlich, William spielt perfekt. Nur eines tut er nicht: „Er weigert sich, Geräusche zu machen“, flüstert Spacey. Also Klappe die Dritte. Diesmal schaut der Regisseur nicht auf den Bildschirm, er dreht sich weg, hält nur die Kopfhörer an die Ohren. Als er das erste Stöhnen hört, das William mit schmerzverzerrtem Gesicht von sich gibt, blickt Spacey doch auf den Bildschirm. Es ist ein stiller Jubel, seine Hände ballen sich zu Fäusten, er zieht sie mit angewinkelten Armen von oben nach unten durch die Luft. Sein Mund formt ein tonloses „Yes, yes, yes“. Und als William auf Knien versucht, sich von seinem Bett wegzuschleppen, bricht es aus Spacey heraus: „I love you! Cut!“, ruft er, so laut, dass es über all die hölzernen Wohnungswände zu hören ist. Schlafen wie ein Baby „Beyond the Sea“, das ist für Kevin Spacey gleichbedeutend mit absoluter Leidenschaft. Auch der Ministerpräsident hat das gespürt. „Er lebt diesen Film“, sagt Matthias Platzeck. Und Spacey liebt Babelsberg. Nicht um der Politik einen Gefallen zu tun, lobt er die Brandenburger Traditionsstudios bis in den Filmhimmel. „Ich könnte nicht begeisterter sein von diesem Drehort“, sagt er. Anfangs, als man ihm vorschlug, seinen Film, der in sieben US-Großstädten spielt, in Babelsberg zu drehen, habe er gedacht, man müsste ihn wohl für verrückt halten. Doch mittlerweile hat Spacey sich entschieden, bis auf eine einzige Szene alles hier zu filmen. Der Park Sanssouci und das Pfingstberg-Belvedere verwandelten sich in Italien, das Berliner Palais am Funkturm und das berühmte Café Keese in amerikanische Nachtclubs der fünfziger und sechziger Jahre, die Babelsberger Kulissenstraße „Berliner Straße“ in die New Yorker Bronx. Den Rest, wie den legendären Club Coconut Grove, lässt Spacey sich von den Filmhandwerkern in Maßarbeit anfertigen. „Nur für den Pazifik reicht der Tiefe See dann doch nicht“, scherzt Ministerpräsident Platzeck. Allerdings sind es nicht nur die scheinbar unendlichen Möglichkeiten in Babelsberg, die Spacey begeistern – und dafür sorgen, dass er trotz dreifacher Belastung als Regisseur, Hauptdarsteller und Produzent entspannt arbeiten kann. „Ich habe mir vorher Sorgen gemacht, ob ich überhaupt fähig sein werde, zu schlafen“, gibt er zu. Doch seine „außergewöhnliche“ Filmcrew, bestehend aus Babelsbergern und englischen Fachleuten, habe diese Befürchtung unbegründet gelassen. „Ich schlafe wie ein Baby“, sagt Spacey und lacht strahlend. Von den „extrem talentierten Filmkünstlern“, auf die Deutschland stolz sein könne, fühle er sich sogar noch weiter angespornt. Was es für das Potsdamer Filmstudio bedeutet, wenn Kevin Spacey genau dies seinen Freunden in Hollywood erzählt, ist nicht nur Ministerpräsident Matthias Platzeck klar: „Das ist eine Werbewirkung ohnegleichen. Denn wenn er wirbt, spricht das für sich.“ Über jeden Zweifel erhaben, das ist Kevin Spacey. Spätestens seit seiner Gesangseinlage im Büro des Brandenburger Regierungssprechers.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false