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Landeshauptstadt: Telefonieren statt einsam grübeln

10 Jahre Telefonseelsorge: Die meisten Anrufer wollen anonym bleiben

10 Jahre Telefonseelsorge: Die meisten Anrufer wollen anonym bleiben 10 Uhr morgens, zwei Stunden ihrer Schicht hat Gabriele Schramm*, 61, um. „Nichts Gewöhnliches heute, läuft ganz gut“, sagt sie. Fünf Gespräche, darunter zwei depressive Frauen. Die ehrenamtliche Mitarbeiterin der Telefonseelsorge Potsdam wirkt entspannt. Zuhören, Nachfragen, Antworten, diesmal lief alles nach Plan. Die Anrufer haben offensichtlich zufrieden aufgelegt – und dann hängt auch Gabriele Schramm den Hörer zufrieden ein. Mehr als 134 000 Anrufe sind seit dem 1. Oktober 1994, als die Potsdamer Telefonseelsorge ihre Arbeit aufnahm, bei der Einrichtung eingegangen, berichtet Leiterin Beate Müller. Die Anrufer fühlen sich einsam, haben psychische Probleme, sind ohne Job, stecken in einer Beziehungskrise oder haben ein anderes Problem, über das sie mit jemandem reden wollen. Anonym. Und der Bedarf ist groß, weiß Müller. Heute nun wird im Oberlinhaus das zehnjährige Jubiläum der Organisation gefeiert. Gabriele Schramm ist seit sechs Jahren bei den Potsdamer Seelsorgern. Sie hat damit angefangen, weil sie sich in ihrer Freizeit gesellschaftlich engagieren wollte. Dreimal im Monat für vier Stunden sitzt sie in dem gemütlichen Büro mit Schreibtisch, Ledersessel, grünem Schlafsofa und Regal mit Schubfach für Kekse und nimmt Telefonate von Menschen an, die die kostenlose Notrufnummer der Seelsorge wählen. „Die Nachttelefonate sind meistens viel Problem beladener“, erzählt sie. Die Anrufer können nicht schlafen, wälzen sich rastlos im Bett herum. Gabriele Schramm hilft dann, die Angst auszuhalten, beschreibt sie. Eine neunmonatige Wochenend-Ausbildung hat sie auf solche Anrufe vorbereitet. Gesprächsführung, Selbsterfahrung, Hospitationen bei bereits ausgebildeten Seelsorgern und jede Menge Übungstelefonate standen auf dem Programm. „Man lernt sich selbst dabei ein Stück weit besser kennen“, erzählt die 61-Jährige. Seit 1998 ist das Telefon in dem kleinen Büro 24 Stunden am Tag besetzt. „Das ließ sich nur mit wesentlich mehr Mitarbeitern machen“, erklärt Leiterin Müller. Angefangen hat die Telefonseelsorge mit 25 Ehrenamtlichen. Mittlerweile ist die Zahl auf 85 angewachsen. Großer Meilenstein in der Geschichte der Einrichtung war auch das Jahr 1997, als die Potsdamer Seelsorger in den bundesweiten Verbund der Telefonseelsorger aufgenommen und damit in das Netz der kostenfreien Nummern integriert wurden. Seit dem kommen in dem Potsdamer Büro auch Anrufe aus Cottbus, Frankfurt/Oder und Berlin an. Die Anrufer heute haben ihren Namen genannt, erzählt Gabriele Schramm. Doch die Regel ist das nicht, die meisten wollen lieber anonym bleiben – so wie die Telefonseelsorger selbst. Ob sie den Hilfesuchenden von sich erzählt, ihnen antwortet, wenn sie fragen, ob sie selbst verheiratet ist oder Kinder hat, entscheidet sie von Anrufer zu Anrufer. Nur wenn sie dabei kein schlechtes Gefühl hat, öffnet sie sich. „Abgrenzung ist in dem Job wichtig“ sagt sie und denkt dabei auch an die Sexanrufer, die ihr hin und wieder die Zeit stehlen. (*Name geändert) Maha

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