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Landeshauptstadt: „Sie will nicht mehr leben. Was soll ich ihr sagen?“

Micha Dummer aus der Prignitz leistet seinen Zivildienst im Potsdamer Seniorenzentrum Emmaushaus

Micha Dummer aus der Prignitz leistet seinen Zivildienst im Potsdamer Seniorenzentrum Emmaushaus Von Michael Kaczmarek und Anja Peschel Micha Dummer ist spät dran. Es ist schon nach halb acht, als er durch die Gänge des Seniorenzentrums Emmaushaus schlendert. Ein „Guten Morgen“ schallt durch den Flur, als der 20-jährige Zivi die älteren Damen und vereinzelten Herren begrüßt und fragt, wo seine helfenden Hände am meisten gebraucht werden. Heute gibt es ein paar Glühbirnen zu wechseln, einen kaputten Schrank zu reparieren und einen Fernseher neu einzustellen. „Hol“ noch zwölf gepolsterte Stühle vom Dachboden“, ruft ihm sein Chef, der Hausmeister des Emmaushauses zu. Am Nachmittag wird es für die Pfleger einen Vortrag zur Sterbehilfe geben. „Oder aber ich bin am Malern“, erzählt Micha aus Pritzwalk in der Prignitz, der bereits seit Juni im Potsdamer Seniorenzentrum mithilft. „Bund kam für mich nie in Frage. Ich wollte nach Potsdam, habe mich hier beworben und es hat auf Anhieb geklappt.“ Mit seinem Job ist er absolut zufrieden, „genau wie ich es mir vorgestellt habe“. Auch sein handwerkliches Geschick kann er so austesten. Zwar hatte der gelernte Industriemechaniker vorher noch nie einen Pinsel in der Hand, aber Malern ist inzwischen kein Problem mehr. Bei seinem ersten Malerauftrag hat er sich besonders viel Mühe gegeben „und das hat so gut geklappt, dass ich jetzt immer dran bin, wenn ein Zimmer gestrichen werden muss“. Es gibt Zeiten, da streicht Micha in einer Woche drei Zimmer, um sie für den Neubezug vorzubereiten. „Jeder Neuzugang bedeutet, dass es einen ,Abgang“ gab. Ich versuche aber emotional Abstand zu halten, wenn hier jemand stirbt, mit dem ich mich gut verstanden habe.“ Er ist froh, dass er Hausmeistergehilfe ist und nicht Pfleger-Zivi. „Das wäre nichts für mich. Das würde ich nicht verkraften“, meint der knapp zwei Meter große junge Mann. Aber ein komisches Gefühl bleibe natürlich nicht aus. „Wenn ich zwischendurch Zeit habe, dann setze ich mich zu den alten Leuten und höre mir ihre Geschichten an.“ Sie erzählen von früher, von ihrer Jugend und der verlorenen Jugendliebe. „Und häufig höre ich die selbe Geschichte jeden Tag.“ Aber das sei egal – er sieht, wie sich die Menschen freuen. Wer winkt, will reden Inzwischen ist es kurz vor 11 Uhr und Micha steuert auf die Küche zu und wirft sich einen weißen Kittel über. „Hygienebereich“, sagt er und lädt die wärmeisolierten Essensbehälter aus der Küche in den Kleintransporter. Er fährt täglich zum Hasenheyer-Stift, um die dortigen Bewohner zu versorgen. Anders als Zivis, die bei ihren ersten Fahrversuchen die Nerven der Heimleitung strapazieren, hat Micha schon mehr als 200000 unfallfreie Kilometer mit Transporter samt Anhänger während seiner Lehre hinter sich. Kaum hat er im Hasenheyer-Stift die vollen gegen die leeren Behälter bei einem Plausch mit den Küchenfrauen ausgetauscht, schwingt er sich hinter das Lenkrad, um im Zentrum Wünsche von Bewohnern und Personal zu erfüllen: Diesmal kauft er einen Blumenstrauß für eine ältere Dame und eine Druckerpatrone fürs Büro. „Manchmal ist es schon stressig hier, aber ich wollte unbedingt eine Stelle, bei der ich mobil bin.“ Als Micha nach seiner Fahrtour wieder auf den Hof des Emmaushauses einbiegt, wartet schon eine ältere Dame am Fenster. „Wenn sie mir winkt, dann weiß ich, dass sie mit mir reden will.“ Er fährt in die dritte Etage, setzt sich neben die Frau und hört ihr zu. „Sie will nicht mehr leben. Es ist schwer, was soll ich ihr denn sagen?“ Dann muss Micha weiter. Der Hausmeister wartet schon. Bis 16 Uhr zieht sich die Bastelei an defekten Schranktüren hin. „Jetzt muss ich los. 17 Uhr geht die Abendschule los.“ Neben seinem Zivijob holt Micha sein Abitur nach. Er drückt nach seinem Acht-Stunden-Zivitag noch bis 22 Uhr die Schulbank, anschließend stehen Hausaufgaben an und er lernt für die Klausuren. Das funktioniert aber nur mit einem toleranten Chef, der morgens nicht zu genau auf die Uhr schaut. „Wenn Klausuren anstehen, büffle ich bis 4 Uhr früh. Da packe ich es selten, pünktlich 7 Uhr auf der Matte zu stehen.“

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