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Landeshauptstadt: Rundgang beginnt im Frauenhof

Erweiterte Ausstellung in der Gedenkstätte Lindenstraße stellt NKWD-Zeit ausführlicher dar

Erweiterte Ausstellung in der Gedenkstätte Lindenstraße stellt NKWD-Zeit ausführlicher dar Von Erhart Hohenstein Innenstadt - Die Gedenkstätte im ehemaligen Gefängnisgebäude Lindenstraße 54/55 wird erweitert. Nach Abschluss des dritten Bauabschnittes kann der Besucher vom dann zugänglichen, originalgerecht zurückgebauten Frauenhof einen ausführlichen Rundgang durch das Zellengebäude unternehmen. Dafür bereitet das Potsdam-Museum die Erweiterung der Dauerausstellung um 200 Quadratmeter vor. Sie wird alle Nutzungen des 1734 - 37 errichteten Hauses darstellen. Sie reichen von der Verwendung für den Stadtkommandanten (Kommandantenhaus), als Tagungsort der ersten Potsdamer Stadtverordnetenversammlung (1809), ab 1818 als Stadtgericht (hier arbeiteten Max Dortu und Theodor Storm) mit Gefängnis, in nationalsozialistischer Zeit als Tagungsstätte des Erbgesundheitsgerichtes und des Volksgerichtshofes (Todesurteil gegen Werner Seelenbinder) bis in die DDR-Ära. In diesem Zusammenhang wird auch die Zeit ab 1945 als NKWD-Untersuchungsgefängnis und Sitz des Sowjetischen Militärtribunals intensiver dargestellt als bisher möglich war. Nach Auskunft von Museumsleiter Hannes Wittenberg werden dazu weitere drei Zellen und ein größerer Informationsraum im bisher nicht zugänglichen, original erhaltenen Kellerbereich für das Publikum geöffnet. Der Rundgang soll künftig auch die Fotozelle mit einbeziehen, vor der ein vom Museum gerettetes Regal präsentiert wird, in dem die persönlichen Sachen der Häftlinge gelagert wurden. Als „Ort der Besinnung und der Qualen“ wurde bereits 2003 die restaurierte Anstaltskapelle zugänglich gemacht. Das Museum bemüht sich, originale Einrichtungsgegenstände zu finden, die allerdings nach Übernahme des Gebäudes durch die Staatssicherheit 1952 fast alle entfernt wurden. Inzwischen ist es gelungen, einige Originalteile aus der Nachkriegszeit zu identifizieren. Mit diesen Informationen an die PNN reagierte Wittenberg auch auf einen an den Oberbürgermeister gerichteten kritischen Brief von Peter Runge, der die NKWD-Zeit in der Gedenkstätte für unterrepräsentiert hält. Runge war als 15-Jähriger verhaftet worden, weil er wie andere Schüler der Einstein-Oberschule (Realgymnasium) als Protest gegen die undemokratische Entwicklung in Ostdeutschland zur Maidemonstration 1946 eine weiße statt einer roten Nelke getragen hatte. Er wurde für sechs Monate im Gefängnis Lindenstraße gefangen gehalten und anschließend ohne Gerichtsurteil für vier Jahre in einem sowjetischen Speziallager interniert. Die durch Peter Runge bemängelten Defizite in der Darstellung der NKWD-Zeit würden durch die geplante Erweiterung der Gedenkstätte ausgeglichen, erklärte Wittenberg. Runge stellt jedoch generell den Willen der Stadt und des Landes in Frage, die Gedenkstätte zu erhalten, wie dies in Stadtverordnetenbeschlüssen von 1990 und 1995 festgeschrieben ist. Sie besitze keine adäquate Rechtsform, zu wenig Personal und werde in der Öffentlichkeit schlecht präsentiert. Auch gebe es kein Forschungs- und Dokumentationszentrum. Das 74-Jährige sieht einen Grund dafür in der vorwiegenden Nutzung des Komplexes durch die Potsdamer Denkmalpflege, die „sich im ganzen Haus einschließlich Zellentrakt einquartiert“ habe. Diesen Vorwürfen kann Hannes Wittenberg nicht folgen. Potsdam sei eine der wenigen Kommunen, die eine solche Gedenkstätte in eigener Trägerschaft betreiben. Dass das Gebäude zu 75 Prozent von der Denkmalpflege und zu 25 Prozent museal genutzt werde, entspreche den Beschlüssen der Stadtverordneten. Diese Mischnutzung folge ökonomischen Überlegungen. Nur so sei es auch möglich geworden, die Gebäudehülle mit einem Aufwand von 800000 Euro zu sanieren. Von 2002 bis 2004 kamen, so für die Sanierung der Heizung im Zellentrakt, nochmals mehr als 50 000 Euro hinzu. Über 30 000 Euro kostete bisher die Einrichtung des musealen Teils. Dabei sei die von Stadtkonservator Andreas Kalesse geleitete Behörde stets äußerst sensibel vorgegangen und akzeptiere die Anforderungen des Museums. Die Gedenkstätte wurde bisher von 100 000 Interessenten besucht. Im Vorjahr waren es 8000. Der Vortragsraum im ehemaligen Gerichtssaal werde fast täglich genutzt, so für Veranstaltungen der Fördergemeinschaft Lindenstraße 54. Der Museumsleiter verwies auf die mit Hilfe der Flick-Stiftung eingerichtete Projektwerkstatt gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz. Die Projekte für Jugendliche werden von einer Gedenkstättenpädagogin angeleitet. Peter Runge fordert in seinem Brief „weitergreifende Forschung“. Die „Schicksale vieler Menschen müssen ausgegraben werden, aufgedeckt die Folterungen im Gefängnis, die menschenverachtenden Verhöre, die gebrochenen Seelen und zerstörten Lebensläufe“. Dazu erklärt Wittenberg, dass ausgehend von den Forschungen der zentralen Gedenkstätte in Hohenschönhausen auch dazu das Potsdam-Museum einen Beitrag leistet. So hat Gabriele Schnell eine Häftlingsdatei erarbeitet, die veröffentlicht werden soll. Sie wird Ausgangspunkt für in der Dauerausstellung vorgestellte Häftlingsbiographien sein, darunter die von Peter Runge.

Erhart Hohenstein

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