zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Potsdamer Russendisko

Spunk e.V. feierte im Casino/Freie Plätze im Jugendcamp

Spunk e.V. feierte im Casino/Freie Plätze im Jugendcamp Von Marcel Kirf Wasser oder Wodka? „Das ist doch dasselbe!“ Nein, das ist ein Glückspiel. Und die Begrüßung zum Russischen Abend im FH-Studentenclub Casino, der anlässlich seiner siebten Wiederholung den Anspruch erhebt, „kultig“ zu sein. Am Einlass des ehemaligen Speisesaals der Roten Armee an der Pappelallee stehen neben der Kasse Schnapsgläser mit farbloser Flüssigkeit. Wer russisch gekleidet ist – und eine Fellmütze reicht schon aus – zahlt einen Euro weniger Eintritt. Und alle Eintretenden haben die Wahl: Welches Glaserl hätten''s denn gerne? Jedes dritte enthält Wodka. Die meisten aber greifen nach Leitungswasser. Das ist die Niete im Spiel. Im sanierungsbedürftigen Ambiente des Casinos gibt es stereotype russische Spezialitäten wie drei Sorten Wodka, Borschtsch, Caipiroshka und den sowjetischen Märchenfilm „Großväterchen Frost“ auf der großen Leinwand. Zum Entzücken der DDR-sozialisierten Jugend folgen darauf endlose Szenen der SU-Variante von Tom und Jerry: „Hase und Wolf“. Zu den klamaukigen Abenteuern des glücklosen Raubtiers im Siebziger-Jahre-Frauenheld-Look greifen die Exil-Ukrainer von „Dr. Baijan“ zu den Instrumenten. Eine Band, die ihren krawall-folkloristischen Sound in Anlehnung an den US-amerikanischen Rockabilly selbstironisch „Sowjetabilly“ nennt. Die vornehmlich in Berlin lebenden Gelegenheitsmusiker sollen zum Freundeskreis des Schriftstellers Wladimir Kaminer gehören, wie die Organisatoren des Abends ohnehin Verbindungen zur berühmt gewordenen Russendisko im Berliner Café Burger haben wollen. Die Veranstalter nennen sich Spunk e.V., in Anlehnung an das von Astrid Lindgrens Kinder-Romanheldin Pippi Langstrumpf skizzierte Traumland, in dem man sich die Welt macht, „wie sie mir gefällt“. Der im Jahre 2000 gegründete Verein aus ehemaligen FH-Studenten, die sich einst selbst für den Campus-Club Casino engagierten, und Mitgliedern der sozialistischen Partei-Jugendorganisation „Die Falken“ organisiert jährliche Begegnungen deutscher und osteuropäischer Jugendlicher. Zehn Aktive, heute alle rund um die dreißig, haben solche Jugendfreizeiten in den vergangenen Jahren in Polen, Deutschland und zuletzt 2003 mit Unterstützung der EU im rumänischen Oradea organisiert. In diesem Jahr ist das Zusammentreffen von zwanzig rumänischen Heimkindern mit zwanzig deutschen Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren in einem dreiwöchigen Jugendcamp im sächsischen Vogtland geplant. Die 7. Potsdamer Russendisko dient der Finanzierung des Vorhabens, ebenso wie Straßenfeste und Fußballturniere in der Vergangenheit, und ein Konzert der Argentinier „Kapanga“ am 14. Februar im Archiv. Der Russische Abend im Casino indes nimmt seinen turbulenten Lauf. Die eher temperamentvollen als melodischen Musikanten von „Dr. Baijan“ bearbeiten in ihren blau-weiß-geringelten Sowjet-Marine-Unterziehpullis mit Hingabe Gitarre, Bass, Akkordeon und Schlagzeug. „Die Wintersonne scheint / wärmt aber nicht“ singen sie, trinken deutsches Bier und bringen die engstehenden Gäste allmählich zum Tanzen. Zwar sind deutlich weniger als die von einem Veranstalter veranschlagten „durchschnittlich 350“ da, aber hundert sich alternativ verstanden wissen Wollender sind es locker. Was im nurmehr aus einem Raum bestehenden Partybereich des einstmals weitläufigen, aber heute baufälligen Casino schon zu Gedränge führt, und angesichts von Außentemperaturen bis minus neunzehn Grad als Erfolg zu werten ist. Warm ist es auch im Casino nicht wirklich, trotz Heizluftzufuhr. Aber der Geheimtipp des Russischen Abends sorgt zu fortgeschrittener Stunde für ausreichende Erhitzung: der kollektive Kreistanz. Sich an den Armen haltend lassen die Anwesenden im großen Rund die Beine fliegen, und die Gemeinschaft wärmt von innen ebenso wie die Bewegung von außen: „Das haben die nicht mal in der echten Russendisko.“ Weiteres im Internet: www. spunk-ev.de.vu

Marcel Kirf

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false