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Homepage: Neuer Ansatz aus Potsdam Debatte zum Selbstverständnis der Zeitgeschichte

Von Jan Kixmüller Der zeitgeschichtliche Schwerpunkt am Forschungsstandort Potsdam erreicht eine neue Ebene. Neben dem als Standardpublikation geltenden „Vierteljahresheft für Zeitgeschichte“ wird nun vom Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) eine neue wissenschaftliche Schrift, die „Zeithistorischen Forschungen“, herausgegeben.

Von Jan Kixmüller Der zeitgeschichtliche Schwerpunkt am Forschungsstandort Potsdam erreicht eine neue Ebene. Neben dem als Standardpublikation geltenden „Vierteljahresheft für Zeitgeschichte“ wird nun vom Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) eine neue wissenschaftliche Schrift, die „Zeithistorischen Forschungen“, herausgegeben. Das Heft, das eng an ein am Montag frei geschaltetes Online-Portal der Zeithistoriker gekoppelt ist (www.zeitgeschichte-online.de), will in erster Linie der Frage nachgehen, auf welche Epoche die Zeitgeschichte heute ihren Blick richtet – und wie sie das macht. Gemäß der klassischen Definition von Zeitgeschichte als einer Epoche der Mitlebenden, ist ihr Gegenstand immer im Fluss der Zeit. War es nach 1945 die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, so beschäftigte sich das ZZF nach 1990 in erster Linie mit der Diktaturgeschichte der DDR und ihrem Umfeld. Da auch mit dieser Epoche auf Dauer kein Staat zu machen ist, richtete man jüngst den Blick bei den Potsdamer Zeithistorikern stärker auch auf die Europäisierung. Prof. Konrad H. Jarausch, der sich mit im Februar in Pension gehenden Prof. Christoph Kleßmann die Spitze des ZZF teilt, rückt in der neuen Publikation zudem die Suche nach einer gemeinsamen Geschichte der Deutschen zwischen 1945 und 1990 ins Zentrum des Interesses. Nicht mehr auf zwei rivalisierende Staaten könnte ein „plurales Sequenzmodell“ schauen, man müsse stärker die gegenseitigen Bedingungen betrachten, die eine gemeinsame Geschichte erkennbar werden lassen. Den Startschuss der neuen, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Schrift und Internetpräsenz gab eine Podiumsdiskussion an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zum gegenwärtigen Standpunkt der Zeitgeschichte. Sei die Aufarbeitung des Nationalsozialismus nach 1945 noch „politische Auftragsarbeit“ gewesen, so müsse die Zeitgeschichte heute ihren Blick auf die Synchronizität der Ereignisse in der Welt richten, stellte Prof. Sebastian Conrad (FU Berlin) am Montag auf dem Podium fest. Prof. Jarausch erinnerte daran, dass Zeitgeschichte jahrzehntelang mit Politikgeschichte identisch gewesen sei. Die Wende von 1989 sei eine erste Zäsur gewesen, jetzt stelle sich die Frage des Blickwinkels und Arbeitsweise neu. „Sind wir Journalisten mit Fußnoten, und woher nehmen wir unsere methodische Sicherheit“, fragt Jarausch. Die neue Publikation soll dabei helfen, dies zu klären. Einig war man sich auf dem Podium, dass wie Prof. Adelheid von Saldern (Uni Hannover) anmerkte, die NS-Zeit die Zeitgeschichte weiter begleiten wird: „Allerdings mit neuen Fragen“. Ob in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus den Katastrophen der ersten Hälfte allerdings gelernt worden sei, wie Konrad Jarausch meinte, bezweifelte die Historikerin von Saldern. Auch die Fixierung der Zeitgeschichte auf Deutschland wurde bemängelt. Prof. Jarausch sprach hier als US-Bürger: an den Spitzenunis der USA werde jeweils zu einem Drittel US-Geschichte, europäische Geschichte und globale Geschichte gelehrt. „So lange das nicht auch in Deutschland gemacht wird, bleiben wir hier provinziell“, so Jarausch. Prof. Jörg Baberowski (HU Berlin) merkte zudem an, dass die deutsche Gesellschaft heute ganz andere Fragen habe, da sie multiethnisch geworden sei. „An den Schulen ist dies schon ein Problem, darauf muss auch die Zeitgeschichte reagieren.“ Ein zweiter Aspekt der Diskussion war die Frage, inwieweit Zeitgeschichte heute „Histotainment“ zu werden droht. Die Medien sind für die Historiker zur Herausforderung geworden. Wer sie aus dem Blick verliert, verliere auch die Zeitgeschichte aus den Augen, so Prof. Chris Lorenz. Auch Prof. Jarausch betonte, dass sich Zeithistoriker den Medien nicht verweigern dürften. Während Prof. von Saldern sich darüber beschwerte, von Medienanfragen aus dem „Gedankenfluss“ gerissen zu werden, gab Jarausch zu bedenken, dass es die Verantwortung seiner Zunft sei, darauf zu achten, dass die Medien das Bild der Zeitgeschichte nicht verfremden. Es gehe dabei auch um die Deutungshoheit, hinter der emotionalen Ansprache der TV-Bilder stecke oft auch politisches Interesse. Hier seien die Zeitgeschichtler gefordert. In der neuen Zeitschrift „Zeithistorischen Forschungen“ sollen nun Methoden im Umgang mit den Medien erarbeitet werden.

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