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Von Henri Kramer und Nicola Klusemann: Mobbing im Stadtparlament

Trotz Mammutsitzung der Stadtverordneten: 49 Anträge bleiben liegen / Gegenseitige Schuldzuweisungen

Am Ende blieben 49 von 124 Anträgen unbearbeitet. Die ehrenamtlich tätigen Stadtverordneten haben sich während ihrer monatlichen Versammlung am Mittwoch einen beispiellosen Schlagabtausch geliefert, permanent stießen die Lager der Stadtkoalition und der linken Opposition gegeneinander. „So etwas haben wir noch nicht erlebt“, sagten gestern mehrere Teilnehmer der Sitzung, die nach neun Stunden gegen 22.30 Uhr endete.

Im Mittelpunkt der oft endlosen Diskussionen: Der erst seit vergangenem November amtierende Stadtpräsident Peter Schüler von den Grünen, der diesmal ohne die erfahrenen Präsidiumsmitglieder Hannelore Knoblich (SPD) und seine Vorgängerin Birgit Müller (Die Linke) agieren musste. Immer wieder betonten Politiker der Linken, dass Schüler die Geschäftsordnung falsch auslege – auch gestern noch. „Die Geschäftsordnung wurde mehrmals zweifelhaft angewandt“, sagte Linke-Chef Hans-Jürgen Scharfenberg.

Viele meldeten sich am Tag nach der Sitzung zu Wort. Die Stadtkoalition um SPD, CDU/ANW, Grüne, Familienpartei und FDP verteidigte Schüler. „Hier wurde ein vernünftiger Sitzungsablauf mit Methode sabotiert“, sagte Grünen-Fraktionsvorsitzender Nils Naber. SPD-Chef Mike Schubert warf der Linken Profilierungssucht vor: „Sie will ihren Bedeutungsverlust kompensieren – auf dem Rücken aller.“ Schuberts CDU-Kollege Michael Schröder sprach von der „Rache“ dafür, dass die Stadtkoalition Schüler im Oktober 2008 gegen die Linke gewählt habe. Scharfenberg bestritt, dass es eine Strategie gegen Schüler gegeben habe: „Wir hatten nicht das Ansinnen, ihn einzuschüchtern.“

Doch ob Strategie oder nicht: Für Außenstehende bot die Sitzung ein Lehrstück für Ineffizienz. Ein Beispiel: Der Antrag der Linken zur soziologischen Jugendbefragung. Statt wie vereinbart die Wiedervorlage aus den zuständigen Ausschüssen abzustimmen, wurde diskutiert – über Soziologie, Sinnhaftigkeit groß angelegter Komplettstudien, Interesse an der Jugend – fast eine Stunde lang. Dann ließ der Vorsitzende Schüler zunächst über die Änderungen aus dem Jugendhilfe- und Sozialausschuss befinden, die beide durchfielen. Es folgte die Abstimmung über den Altantrag. Unruhe in den Reihen der Linken, als auch der keine Mehrheit fand. Zwischenrufe, als Schüler in der Tagesordnung fortfahren wollte. Stimmen forderten eine zweite Abstimmung. Der Stadtpräsident rief die Fraktionschefs zu sich. Es blieb beim Ergebnis.

Noch unübersichtlicher wurde es gegen Ende, als um 21 Uhr immer klarer wurde, dass die Tagesordnung nicht einzuhalten war. Schüler verabredete mit allen Fraktionschefs, welche Punkte noch dringend behandelt werden müssten. Jedoch unterließ er es, die anderen Stadtverordneten über die neue Tagesordnung abstimmen zu lassen oder wenigstens zu unterrichten. Wieder entstand Unruhe und Streit um das Vorgehen. Neben mehreren Punkten der verkürzten Tagesordnung fiel schließlich auch der wichtige nicht-öffentliche Sitzungsteil der Zeit zum Opfer. „Ich hätte eher auf eine Änderung der Tagesordnung drängen sollen“, gestand Stadtpräsident Schüler gestern. Ebenso räumte er ein, nicht in jeder Situation souverän agiert zu haben. Gleichwohl übte er Kritik an dem Verhalten der Linken: „Sie hat es sich ein bisschen zum Sport gemacht, Unsicherheit zu säen.“

Gleichzeitig beginnt das Rätseln darüber, wie solche Zustände in Zukunft verhindert werden können. SPD-Chef Schubert forderte gestern, notfalls die Redezeiten und die Anzahl der Wortmeldungen je Fraktion zu begrenzen. Linke-Kontrahent Scharfenberg lehnte dies strikt ab und forderte eine bessere Vorbereitung aller Parteien auf die Sitzung.

Die Zeit bis dahin wird lang. Als letzten Beschluss setzte eine Mehrheit der Abgeordneten durch, dass es wegen der Ferien in der nächsten Woche keine Nachsitzung geben wird. So tagen die Stadtverordneten wieder am 1. März. Unter anderem wollen sich die Stadtpolitiker dann eine neue Geschäftsordnung geben

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