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Intime Räume: Ungewöhnliche Kunst in den Toiletten auf dem Universitäts-Campus Golm

Intime Räume: Ungewöhnliche Kunst in den Toiletten auf dem Universitäts-Campus Golm Von Matthias Hassenpflug Nein, ein Ort der Kunst ist die öffentliche Toilette wahrlich selten. Da, wohin selbst der König allein geht, zieht es die Kunst nicht nach. Hier werden Bedürfnisse eilig befriedigt, aber, bitte schön, allein! Selten ein Ort der Muße oder gar der Schöngeisterei. In Golm sind manchen Nutzern der universitären Anlagen, die unter Kennern als besonders „berüchtigt“ gelten, diese Woche bizarre Begegnungen garantiert. Denn eine Gruppe von angehenden Kunstpädagogen, die anscheinend frei sind von Berührungsängsten, haben sechs „stille Örtchen“ zu Erlebnisräumen umfunktioniert. Vorangegangen war ein ernsthafter Annäherungsprozess der Studierenden an das Thema Wahrnehmung, wie die Ideengeberin und Kursleiterin Claudia Güttner glaubhaft versichert. Zoten, Klosprüche und Fäkalhumor sind nahe liegend, aber Dank guter Vorarbeit vermieden worden. Nachdem die Studierenden alltägliche Gegenstände, wie eine Glühbirne oder eine Spülbürste gelernt hatten wieder als erfahrbaren Körper wahrzunehmen, ging es nun daran, ganze Räume sinnlich zu verarbeiten. Wobei hier auch wiederum nicht der Geruchssinn im Vordergrund stand. Die Konzeptkünstlerin Anna Oppermann, die Räumen durch ihre individuelle Beobachtungen, die sie fotografisch festhält, mehre Betrachtungs- und Bedeutungsebenen verschafft, wurde zum Vorbild gewählt. Die jungen Künstler wurden von ihrer Dozentin mit einer speziellen Meditations-CD jeweils für eine Dreiviertelstunde in die Toiletten geschickt, um durch die Geräusche und Klänge einen „Genius Loci“ zu erspüren. Die Resonanz unter den Studenten nach dieser Bannzeit reichte von „Endlich mal Ruhe“ bis „Fürchterlich, ich muss mir sofort die Hände waschen.“ Das Damen-WC im Stammhaus der Kunststudenten, Haus 9, trägt für eine Woche den Titel „Unfreiwilliger Zeuge“: Installiert wurde im Kabinenbereich ein Hängeschränkchen, aus dem unablässig eine Mädchenstimme aus einem Tagebuch vorliest. „Bin schon eine Woche mit ihm zusammen, genial“, „Er ist voll süß!“ und „Ich bin ganz doll froh, dass ich meinen Maik habe.“ In einer äußerst privaten Situation wird hier sowohl der Kunstinteressierte, wie auch der „einfache“ Benutzer mit intimen Berichten konfrontiert. In Sitzhöhe montierte Spiegel im Angesicht des dringlich Müssenden erlauben eine Reflexion über das Phänomen der Selbstbeobachtung. Dieser Teil der Installation hat offensichtlich schon vor der offiziellen Eröffnung der Klo-Schau zu ersten Reaktionen geführt. Teile wurden behelfsmäßig mit Toilettenpapier verdeckt. Vermutlich sprengt die Konfrontation mit dem eigenen sich beobachtenden Ich die ohnehin gerade geübte hohe Konzentration auf das Selbst. In Haus 5 sind Augenpaare montiert, die verunsichern sollen, die Örtlichkeit in Haus 10 wurde zu einer Küche bzw. zu einem Warteraum umfunktioniert. „Brausebad“ in Haus 9, 2. OG, setzt sich mit dem schwierigen Thema „Konzentrationslager“ auseinander. Das Reinigungspersonal ist informiert, dass in einigen WCs Kunst installiert wurde. Ein weiterer Beuys-Skandal ist demnach also nicht zu befürchten. Völlig ungeklärt ist eine Regelung, die es männlichen Kunstfreunden guten Gewissens ermöglicht, für eine Betrachtung der Arbeiten die gewöhnlich als Tabuzone wahrgenommenen Bereiche zu betreten. Die Wahl der Abendstunden, in denen diese Räumlichkeiten weniger oft frequentiert werden, erscheint empfohlen. Universitätskomplex II, Golm, Damen-WCs in Haus 5, 8, 9, 10, Herren-WC Haus 9, bis 2. Februar. Kein Katalog.

Matthias Hassenpflug

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