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Landeshauptstadt: Keine Bautenfrage

Kulturhauptstadt-Bewerbung ist eine Frage der Kultur

Kulturhauptstadt-Bewerbung ist eine Frage der Kultur STANDPUNKTE Von Anita Tack Die Bewerbung Potsdams um den Rang einer Europäischen Kulturhauptstadt scheint für manchen ein willkommener Aufhänger zu sein, die eine oder andere Attacke auf die Stadtpolitik der PDS wieder aufzuwärmen. Insbesondere die Haltung der PDS zum Wiederaufbau des Schlosses - so heißt es - sei ein Hindernis für diese Bewerbung. Nur mit Schloss, heißt es, habe Potsdam überhaupt eine Chance, und darum müsse die PDS ihre Politik ändern und endlich dem Schlossbau zustimmen. Dazu ist mehrerlei zu sagen. Zunächst muss daran erinnert werden, dass die PDS aus den Kommunalwahlen im Oktober 2003 als mit Abstand stärkste Fraktion hervorgegangen ist - und dieses Ergebnis unter anderem mit dem in seiner Aussage unmissverständlichen Plakat „Das Schloss kann warten" erzielt hat. Nicht „Kein Schloss!" hieß der Aufdruck auf diesem Plakat, sondern „Das Schloss kann warten". Zu sehen auf dem Plakat waren Kinder, und aufmerksam gemacht haben wir damit auf Dinge, die wir für weitaus dringlicher halten als den Wiederaufbau des Schlosses: die Modernisierung der Schulen, den Erhalt von Kultur- und Bildungseinrichtungen - darunter zum Beispiel der Stadt- und Landesbibliothek -, Verbesserungen im Bereich der Kindertagesstätten, Musikschulen und Freizeiteinrichtungen und auch den Abschluss der Modernisierung des „Treffpunkt Freizeit" sowie die Realisierung des Theaterneubaus - zweier Vorhaben, die über den Hauptstadtvertrag mit erheblicher finanzieller Förderung durch das Land ins Werk gesetzt worden sind. Was wäre das für eine seltsame Politik, wenn wir wegen der Kulturhauptstadtfrage diese Prioritäten, für die wir gewählt worden sind, aufgäben! Fixierung auf das Schloss falsch Aber davon einmal abgesehen, halte ich die Fixierung auf das Schloss auch in der Sache selbst für völlig falsch. Wo steht denn eigentlich geschrieben, dass die Würde einer Kulturhauptstadt eine Bauten- und nicht eine Kulturfrage ist? Glauben da einige wirklich, mit der Errichtung eines Schlosses, über dessen mögliche Funktion und Nutzung in der Stadt nach wie vor keinerlei wirklich tragfähige Vorstellungen existieren und dessen Finanzierung völlig in den Sternen steht, wären die notwendigen Pluspunkte zu gewinnen? Ich sehe die Dinge völlig anders. Ich denke, dass Potsdam mit der vorbildlichen Pflege seiner Schlösser, Gärten, Museen und historischen Wohnsiedlungen bereits einen wichtigen und weithin anerkannten, ganz außer Frage stehenden Beitrag zum Erhalt des Weltkulturerbes leistet. Auf diesem Gebiet ist es - wie auch das Krongut und das kürzlich eröffnete Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte im Kutschstall zeigen - den Beweis seiner großen Leistungsfähigkeit nicht schuldig geblieben. Und mit dem Nikolaisaal hat es eine Stätte anspruchsvollen Konzertbetriebes errichtet, die mit dem neuen Theater in der Schiffbauergasse endlich auch um einen hochwertigen Ort der Schauspielkunst ergänzt werden wird. Das also sind nicht die Felder, auf denen Nachholebedarf besteht. Aber was wäre das für eine Kulturhauptstadt, die ihre Stadt- und Landesbibliothek nicht richtig erhalten kann? Die noch immer kein Konzept dafür hat, wie sie studentisches Leben - also Zukunft! - in ihr Zentrum holt mit Bildungs- und Freizeitstätten, Wohnangeboten, Clubs und einer stabileren und großzügigeren Unterstützung von Kleinkunst und freier Kulturszene? Was wäre das für eine Kulturhauptstadt, in deren Schulen erhebliche bauliche Mängel das Lernen erschweren und deren Musikschul- und Weiterbildungsangebote so teuer werden, dass sie für viele nicht mehr erschwinglich sind? Die PISA-Studie sollte uns alle aufgerüttelt haben: Europäische Vergleiche finden nicht so oberflächlich, so nur auf Äußerlichkeiten gerichtet statt, wie mancher das vielleicht denken mag. Deutschland hat den Spiegel vorgehalten bekommen für ein Schulsystem, das nach Meinung vieler den modernen Anforderungen an die Summe aus Bildungs- und Sozialkompetenz nicht gerecht wird. Auch darum sollten wir unser Streben nach der Würde einer europäischen Kulturhauptstadt umfassender ausrichten, sollten wir die Lebensbedingungen der hier lebenden, lernenden und arbeitenden Menschen ins Zentrum rücken. Um genau dies zu befördern, hat die PDS im November 2003 einen Antrag in den Landtag eingebracht, dass die Landesregierung schon jetzt und von Anfang an Potsdam in seiner Bewerbung um die Kulturhauptstadt-Würde unterstützen soll. Die Regierungskoalition aus SPD und CDU hat das abgelehnt. Es müsse erst - wurde erklärt - das städtische Konzept auf dem Tisch liegen, ehe man über eine Unterstützung entscheiden könne. Wie engstirnig! Nähme man nämlich zum Beispiel die Bibliotheksfrage ernst - und man muss sie ernst nehmen, denn Bibliotheken sind ein Kulturgut allerersten Ranges -, dann hätte ein solcher Unterstützungsbeschluss schon einmal bewirken können, dass die unsäglichen Kürzungen für die Landesbibliothek zurückgenommen werden. Das wäre ein weithin sichtbarer Beitrag für die Kulturhauptstadt gewesen. Sponsoring auch für die Bildung Ein anderer Beitrag der Kommune insgesamt - denn die Kulturhauptstadtfrage ist ja eine der ganzen Stadt und nicht nur ihrer Verwaltung - könnte zum Beispiel darin bestehen, dass privates Sponsoring nicht mehr nur vorrangig Bauprojekten, sondern auch im öffentlichen Interesse liegenden Bildungsvorhaben zugute kommt. Und um noch einmal auf das Stadtschloss zurückzukommen: Es ist meine feste Überzeugung, dass Potsdam die gewünschte große Aufmerksamkeit und Anerkennung in Deutschland und in der Welt nicht so sehr damit gewinnen würde, dass es die Brache im Zentrum mit einer Kopie des Schlosses bebaut, sondern vielmehr damit, dass es dort ein Gebäudeensemble errichtet, das die Fähigkeit widerspiegelt, Altes mit Neuem zu nie gesehener Verbindung zu bringen. Das Ringen um den Titel „Kulturhauptstadt" sollte den Wettbewerb um eine solche Lösung neu entfachen. Verliehen wird der Titel für ein Jahr - sein Sinn aber besteht in lebendiger kultureller Erneuerung. Unsere Autorin Anita Tack ist Mitglied der PDS-Landtagsfraktion und wohnt in Potsdam.

Anita Tack

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