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Landeshauptstadt: Galle versucht, zum Alltag zurückzukehren

In 154 Flüchtlingslagern des Bezirks Galle in Sri Lanka warten die Menschen darauf, wie es weitergehen soll / Wiederaufbau wird Jahre dauern

In 154 Flüchtlingslagern des Bezirks Galle in Sri Lanka warten die Menschen darauf, wie es weitergehen soll / Wiederaufbau wird Jahre dauern Die Stadt Galle an der Südwestspitze Sri Lankas ist durch den Tsunami besonders schwer getroffen worden. In einer Projektpartnerschaft will Potsdam die Stadt beim Wiederaufbau unterstützen. Wie es zurzeit dort aussieht, schildert Christine Moellhoff in einem Bericht für die „Neue Zürcher Zeitung“, den die PNN hier auszugsweise abdrucken. Unschuldig glitzert das Meer vor der Küste von Galle in der Nachmittagssonne. Ganz harmlos wirken die kleinen Wellen, die an das Felsenufer plätschern. Galle ist die viertgrößte Stadt Sri Lankas und liegt 116 Kilometer von der Hauptstadt Colombo entfernt an der Südwestspitze der Tropeninsel. Noch vor knapp zwei Wochen sonnten sich Touristen an den Stränden, bunte Fischerboote schaukelten in der Bucht, und Händler priesen auf dem kleinen Fischmarkt an der Uferstraße ihre Waren an. Doch das ist das Galle von gestern. Das Galle von heute wirkt wie nach einem Krieg. Ganze Straßenreihen haben die meterhohen Riesenwellen niedergewalzt, die Innenstadt rund um den Busbahnhof liegt in Trümmern. Überall liegen Glasscherben, Schutthaufen, Möbel und Abfälle herum. An Mauern hängen Bilder von Vermissten, die Angehörige angebracht haben. Über dem Cricket-Stadion auf der anderen Seite des Busbahnhofs kreisen Krähen. Das Stadion war einmal der Stolz der Stadt. Nun ist es das Feld der Toten. Hier werden die Leichen hingebracht, um sie zu identifizieren. Noch immer werden jeden Tag tote Menschen gefunden. Die Körper seien aufgedunsen, schwarz verfärbt und voller Maden, berichtet ein Kollege schaudernd. Trotzdem müssen die Ärzte ihre Arbeit tun, sie fotografieren die Toten, nehmen Haarproben und Gebissabdrücke. Bei Hunderten weiß man bisher nicht, wer sie sind. Doch die Angehörigen brauchen Gewissheit. Nicht nur, damit sie Abschied nehmen und trauern können. Auch weil die Regierung eine Entschädigung von 10 000 Rupien pro Opfer zahlen will. Über 4100 Personen kamen im Bezirk Galle ums Leben. Die Leute haben große Angst davor, dass der Tsunami wiederkommt. Das Leid ist unermesslich. Eltern trauern um ihre Kinder, Kinder um ihre Eltern. 12 000 Todesopfer in Sri Lanka waren Kinder. Hunderte von Waisen sitzen in den Auffanglagern. Manche haben seit der Katastrophe nicht mehr gesprochen. Es ist bereits zu ersten Selbstmorden gekommen. Doch das Leben muss weitergehen. Irgendwie. Auch in Galle. Vorsichtig versuchen die Menschen, soweit das möglich ist, zu einer Art Alltag zurückzufinden. In wenigen Tagen soll der Unterricht an den Schulen wieder aufgenommen werden. Deshalb sollen die Vertriebenen in andere öffentliche Gebäude oder Zelte verlegt werden. Und auch die ersten Fischer haben sich angeblich wieder aufs Meer gewagt. Bisher hatten sie sich geweigert. Aus Angst und weil ihnen sowieso niemand den Fang abgekauft hätte. Die Fische hätten die Leichen gefressen, die im Meer getrieben seien, erzählen sich die Leute. Einige Ausländer, die in Sri Lanka leben, haben den Fischern nun versprochen, ihnen den Fang abzukaufen. Überall in der Innenstadt tragen Menschen die Trümmer zusammen, räumen Straßen frei und putzen den Schlamm weg. Laster mit Hilfsgütern fahren vorbei. Hotels, Restaurants und kleine Supermärkte, die verschont geblieben sind, sind wieder geöffnet. Kamerateams streifen durch die Straßen. Kurz nach der Katastrophe herrschte absolutes Chaos. Strom, Telefone, Verkehr - alles war mit einem Schlag beinahe lahm gelegt. Es gab nicht genug Trinkwasser, nicht genug zu essen. Inzwischen fließen die Hilfsgüter, wenn auch unkoordiniert. Privatleute, Stiftungen, der Staat und Hunderte von Hilfsorganisationen aus der ganzen Welt schleppen Güter an. Von Antibiotika bis zur Unterhose, vom Plastikbecher bis zum Milchpulver. Nun warten die Menschen in den 154 Flüchtlingslagern im Bezirk darauf, wie es weitergehen soll. Es wird noch Wochen und Monate dauern, bis die Trümmer und die Wracks weggeräumt sind. Und es wird Jahre brauchen, bis alles wieder aufgebaut ist. Sri Lanka steht vor einer gewaltigen Aufgabe. Allein im Bezirk Galle brauchen 130 000 Personen ein neues Dach über dem Kopf, auf der Insel insgesamt über eine  Million. Und das so schnell wie möglich. Sri Lanka wird beim Wiederaufbau ausländische Hilfe benötigen. In einem achtstöckigen Gebäude neben dem Bahnhof residiert das Distrikt-Sekretariat von Galle. Hier wurde in aller Eile das Krisenzentrum eingerichtet. In einem großen Büro steht ein kleiner Mann in hellbraunem Anzug. Der Mann gleicht einem General in der Schlacht. Er redet mit fünf Leuten gleichzeitig, unterschreibt Papiere, gibt Befehle, telefoniert und winkt nebenbei noch Tee und Kekse herbei. Der Mann heisst Kingsley T. Wickramaratne. Er ist 58 Jahre alt und Gouverneur der Südprovinz, zu der neben Galle auch andere schwer von der Flut betroffene Bezirke gehören. „Kommen Sie“, befiehlt er und stürmt in den Konferenzsaal, wo 60 Leute auf ihn warten. Hier geht es um den Wiederaufbau, um die Zukunft. Bisher haben die Menschen das Meer als Freund gesehen. Vor allem die Armen wohnten am Strand. Ganz nahe drängten sich ihre kleinen Häuser ans Meer, manchmal nur wenige Meter entfernt von der Wasserlinie. Das möchte die Regierung nun ändern. Sie erwägt, ein Gesetz einzubringen, nachdem die neuen Häuser eine gewisse Distanz vom Strand entfernt liegen müssen. Spenden: MBS Potsdam, BLZ 16050000, Konto-Nr. 3502221536, „Projektpatenschaft“.

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