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Landeshauptstadt: Existenz mit einem gewissen Risiko

Was macht ein mittelloser Kurierfahrer, dessen Auto in die Werkstatt muss? Sich Geld leihen, hofft Reinhold Raschke

Was macht ein mittelloser Kurierfahrer, dessen Auto in die Werkstatt muss? Sich Geld leihen, hofft Reinhold Raschke Von Guido Berg Mit dem Geld ist es ein wenig wie mit den Töchtern: Beides vertraut Otto-Normalverbraucher nur ungern Leuten an, die eine Lederjacke tragen und Cowboy-Stiefel und einen Bart wie Dennis Hopper im Kultfilm „Easy Rider“. Auch Leuten nicht, die ein Klappmesser mit sich führen und gern versichern, dass sie sich zu verteidigen wissen, selbst wenn sie keine „Artillerie“ dabei haben, keine Schusswaffe. Die Kreditwürdigkeit vergrößert sich auch nur unwesentlich, wenn diese Leute versichern, dass ihr Justizregister nur „Jugendstrafen“ enthalten. Kurzum: Reinhold Raschke, den seine Freunde Reiner nennen, ist kein Schwiegersohn-Typ aus dem Bilderbuch – was den glücklich verheirateten 52-Jährigen auch recht wenig ausmacht. Bleibt das Problem mit dem Geld. Keine Bank will ihm welches borgen. Der Harley-Fan – umständehalber derzeit ohne Motorrad – arbeitet seit über einem Jahr als Kurierfahrer. Er fährt Disketten nach Berlin, Baupläne nach Cottbus und überhaupt alles, was in seinen Subaru Legacy passt, wo es hin soll. Auf dem Kilometerzähler seines Allrad-Autos steht eine Zahl jenseits der 150000, erneuert werden müssten Kupplung, Bremsen und Stoßdämpfer. Das würde mit der Reparatur weiterer Kleinigkeit um die 2800 Euro kosten. So lautet die Auskunft der Werkstatt. Ein Biker bleibt natürlich ein Biker auch ohne Bike. Aber was macht ein Kurierfahrer ohne sein Auto? Arbeitslos war Raschke schon. Wenn die Reparatur nicht gelingt, wäre für ihn gemäß Hart-IV noch Arbeitslosengeld II drin. Aber 350 Euro im Monat? „Davon kannst“e wirklich nicht leben“, meint der gebürtige Münchner, der seit fünf Jahren in Potsdam wohnt. „Mit dem Kurierfahren müsste sich Geld verdienen lassen“, sagte sich Raschke damals und „man ist von der Straße weg.“ Am 1. November 2003 ging er als Unternehmer an den Start. Sein Kapital: Der Führerschein und das Auto. 300 Kilometer fährt er durchschnittlich am Tag. Das bringt rund 2000 Euro Verdienst und 600 Euro Spritkosten im Monat ein. Und Abnutzungen am Auto. Die wären ja nicht das Problem, würde ihm sein ehemaliger Kuriervermittler die 4000 Euro ausbezahlen, die er ihm schuldet. Macht er aber nicht, sagt Raschke. Das Gericht wird entscheiden müssen. Sein Erspartes verlor der gelernte Feinmechaniker bei der Pleite seiner letzten Unternehmung, einer Kneipe in Berlin-Tegel. Bevor der Euro kam rollten die Fässer noch und damit auch der Rubel und Raschke und seine Frau Rita Grögel mieteten ein Haus in Fahrland. Als den Tegeler Stammgästen mit dem Euro fortan bereits Mitte des Monats das Geld ausging, drehte dieser Umstand auch dem Wirt den Hahn zu. Der zehnjährige Mietvertrag für das Haus wirkte sich Raschke zufolge nicht günstig auf das folgende Kostenmanagement aus. Er wohnt mit seiner Frau, die als Saisonkraft in der Ausflugsschifffahrt tätig ist, mittlerweile in einer Mietwohnung. Es sind ein paar Schulden angelaufen, die der Existenzgründer Euro für Euro dabei ist, zu tilgen. Aber es ist nicht leicht Schulden machen, wenn man bereits Schulden hat. Seine Hausbank teilte ihm mit, er sei noch zu kurze Zeit selbständig, habe keine Bilanzen, das Risiko sei zu hoch. 3000 Euro wolle er, für die Autoreparatur, sagte Raschke dem Vertreter einer anderen Bank am Telefon. „Die Summe ist zu klein, das rentiert sich nicht“, war die Antwort. „Wie viel muss ich den aufnehmen, damit es sich rentiert?“ Eine logische Gegenfrage Raschkes. Sein Gegenüber an der anderen Leitung entgegnet: „Das war die falsche Frage.“ Und damit war das Gespräch beendet. Dabei hatte der Mann noch gesagt, seine Bank vergebe auch Kredite an Kleinunternehmer. Die Zeit, da der Rock-Fan nicht ausschließlich auf des Gesetzes Pfaden wandelte, sieht Raschke als längst vergangen an. „Ich bin älter geworden“, sagt er, „ich habe eine Frau, für die ich mich verantwortlich fühle.“ Kennen gelernt hat er Rita Grögel in der Kurklinik, in der sich beide vom Herzinfarkt erholten. „Da heißt es immer, Kurschatten bringen nichts“, sagt sie lachend bei einer Kurierfahrer-Pause in ihrer Küche. Die Wohnung ist voller Harley-Fotos und entsprechenden Utensilien der Szene. Organisiert ist das Biker-Pärchen nicht: „Meine Kutte ist sauber, wir sind Free-Biker“, versichert Raschke Natürlich gebe es in Berlin einen Klub, wo sich die Freunde treffen, „da bist du noch ein Mensch“. Rita Grögel sagt, sie habe tätowierte Harley-Freunde, die sind im bürgerlichen Leben Zahnärzte oder Malermeister. Einer sei sogar Oberstaatsanwalt. Wenn es nur das Äußere wäre. „Mein Outfit könnte ich ändern“, versichert Raschke, „ich bin wandelbar und flexibel“. Seine Frau könne schneidern und an der Küchenwand hängen Bilder, da hat er „sich als Mensch verkleidet“, Raschke im grauen Anzug. Das war ein Foto wert. Das Auto ist reparaturbedürftig, er ist nicht krankenversichert, Schulden müssen abbezahlt werden, er sagt, „ich weiß, ich bewege mich am Rande einer Katastrophe“. Viele hätten sich nicht vorgestellt, was mit einer Ich-AG alles auf sie zukommt. Doch macht er sich Mut: „So alt wie ich aussehe werde ich eh nicht“ und: „Ein gewisses Risiko muss sein.“

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