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Landeshauptstadt: Erinnerungen an den Krieg bei Älteren 95 Patienten im Lazarett am Luftschiffhafen „Alter Ofen“ entschärft

Was augenscheinlich ein Ofen war, wurde am Sonnabend nach 65 Minuten Arbeit als ungefährlich erklärt – die Ausweichquartiere wählten nur wenige Evakuierte.

Was augenscheinlich ein Ofen war, wurde am Sonnabend nach 65 Minuten Arbeit als ungefährlich erklärt – die Ausweichquartiere wählten nur wenige Evakuierte. Potsdam West – „Ich hab im Leben alles mitgemacht und jetzt hab ich eben das hier auch noch mitgemacht.“ Ein wenig aufgeregt war Erika Sawitzki aber dennoch, als die gesamte Pressemeute samt Oberbürgermeister an ihrem Bett im provisorischen Lazarett stand. Der Foto-Termin in der Mehrzweckhalle am Luftschiffhafen war für die 82-jährige offensichtlich fast anstrengender als die Evakuierung wegen der amerikanischen Fliegerbombe. Die sei „prima verlaufen“, sagt sie und betont, „wir haben aber auch tolle Pfleger und Ärzte hier.“ Der Vorort-Termin wurde vom Klinikum-Geschäftsführer Dr. Lutz Bütow mit den Worten beendet: „Unsere Konkurrenz wirft uns vor, hier herrsche Ansteckungsgefahr.“ Bereits Sonnabend morgens um 5 Uhr ist das gesamte Klinikpersonal des Klinikums „Ernst von Bergmann“ in „medizinisch-militärischen Ausnahmezustand“ versetzt worden, wie Bütow es nennt. Dieser etwas martialische Ausdruck scheint gar nicht einmal so unpassend gewählt, fühlten sich doch viele, insbesondere ältere Patienten an ihre Kriegserfahrungen erinnert. Abteilungspfleger Mario Vollert fand es gerade deswegen sehr wichtig, dass für die Evakuierungsaktion das Pflegepersonal aufgestockt wurde. „Wir haben eine Eins-zu-eins-Betreuung und das ist gut. Einfach, damit jemand da ist und auch mal beruhigend die Hand auf die Schulter legen kann“, sagte er. Dabei seien die meisten Patienten nicht einmal unglücklich über die ungewohnte Situation. „Für viele ist das hier auch mal eine Abwechslung. Es ist schön, wenn man einmal was anderes sieht, als immer nur den Fernseher und das bunte Bild an der Wand“, stellte der Abteilungspfleger fest. Etwa 50 Intensiv-Patienten waren im Zuge der Evakuierung in den zweiten Klinikstandort „In der Aue“ verlegt worden. Nur etwa 30 nicht transportfähige Personen blieben im Klinikum. Insgesamt 95 bettlägrige Patienten waren innerhalb von knapp vier Stunden aus dem Klinikum in die Sporthalle am Luftschiffhafen verlegt worden. Die generalstabsmäßig organisierte Evakuierung verlief nach Einschätzung aller Beteiligten „absolut reibungslos“. Tatsächlich hat gerade die Zusammenarbeit der militärischen und der zivilen Stellen sehr gut geklappt, wie Oberbürgermeister Jann Jakobs vor Ort betonte. Dem konnte Oberstleutnant Rainer Weseloh vom Lazarettregiment-31 aus Berlin-Kladow nur zustimmen. „Wir sind eigentlich nur die Spediteure gewesen“, wiegelte Hauptmann Wolfgang Sengeland jedes Lob von vornherein ab. Sicher, die Soldaten sind außergewöhnliche Einsätze gewohnt, aber diese Klinikevakuierung war auch für sie etwas besonderes. „Die Voraussetzungen waren hier völlig anders als beispielsweise in Afghanistan, wo wir bis November 2004 als Leitverband für sanitätsdienstliche Versorgung stationiert waren. Eine siebzigjährige Patientin braucht einfach einen anderen Umgang als der siebzehnjährige Verletzte in Kabul“, erklärte der Hauptmann die besonderen Anforderungen dieses Einsatzes. Auch für Krankenschwester Doreen Schulze war das kein normaler Arbeitstag. Sie gehörte der Frühschicht an, war seit den Morgenstunden im Dienst und blieb bis sie ihren Patienten am Abend der Spätschicht auf der Station übergab bei ihm. Ihr machte der ungewohnte Außeneinsatz in der Sporthalle aber nichts aus – im Gegenteil: Der Pflegeablauf sei in der Halle „ganz normal“ gewesen und die Betreuung für den Patienten sogar besser als im Krankenhaus. Direkt geprobt, wie es beispielsweise bei der Bundeswehr üblich ist, haben die Pflegekräfte das Szenario allerdings nicht. Krankenhausärztin Sylvia Voß regte deshalb an, solche Extremsituationen regelmäßig durchzuspielen, um im Falle eines Falles noch schneller reagieren zu können. Die Evakuierung hatte im Vorfeld einige Abstimmungsprobleme zwischen den Potsdamer Kliniken und der Verwaltung offenbart. Das fiel vorgestern jedoch glücklicherweise nicht ins Gewicht. Alle Beteiligten hatten nicht nur genügend Zeit um die Aktion durchzuführen, sondern auch deutlich weniger Patienten als im Vorfeld geplant, da eine große Anzahl der Kranken die Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen konnte. Abteilungspfleger Mario Vollert wies darauf hin, das am Luftschiffhafen nur die Patienten lägen, die ständige Überwachung benötigten. „Wir waren auf alle Eventualitäten vorbereitet und ich habe noch keine Klage gehört“ sagte Chefarzt Dr. Rudolf Schulz abschließend. Jörg Isenhardt Innenstadt – Seine Frau hatte Manuel Kunzendorf dieses Mal nicht erreichen können: „Dazu hatte ich noch keine Zeit“, sagte der Angestellte des Kampfmittelbeseitigungsdienstes kurz nach der Entschärfung der US-Fliegerbombe aus dem zweiten Weltkrieg. Normalerweise gehört einer seiner ersten Anrufe der Gattin, doch am Sonnabend warteten mehr als 5000 Evakuierte und die knapp 400 Patienten des zweitgrößten Brandenburger Krankenhauses auf den Anruf des Feuerwerkers. Er ist nach eigenen Aussagen einer von zehn Männern in Brandenburg, die solche Bomben entschärfen können – das entschärfte Objekt: 250 Kilogramm schwer, verrostet, leicht demoliert und seit Sonnabend 13.37 Uhr ohne Zünder und somit nicht mehr gefährlich. Die Evakuierung verlief nach Polizeiangaben ohne Zwischenfälle. Es war die 58. Bombe seit 1990, die in Potsdam gefunden wurde. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm forderte angesichts hunderter solcher Sprengmittelfunde pro Jahr im Land mehr Unterstützung vom Bund. Zuletzt wurden die Zuwendung des Bundes im vergangenen Jahr gekürzt. Der am Sonnabend entschärfte Blindgänger aus dem April 1945 war am 29. Dezember bei Bauarbeiten im Hof des Ernst-von- Bergmann-Klinikums gefunden worden. Arbeiter unterrichteten die Polizei, sie hätten etwas gefunden, was wie ein alter Ofen aussähe. Drei Stunden später stand die genaue Diagnose auf dem Klinikgelände fest: eine verrostete, aber scharfe Fünf-Zentner-Bombe. Für Manuel Kunzendorf war es eine Bombe wie jede andere – aber „keine Routine“. Darauf legt der Vater zweier Kinder wert. Cool wirkt er kurz nach der Entschärfung, als sei es alltäglich, zwischen Leben und Tod zu arbeiten. Doch Gedanken an eine eventuell letzte Bombe lässt er nicht aufkommen. „Die letzte Bombe ist die vor der Rente“, sagt der Fachmann selbstbewusst. Und seine Frau? „Die hat mich kennen gelernt, da habe ich so etwas schon gemacht.“ Mehr als einhundert Bomben hat Kunzendorf bereits entschärft, die genaue Zahl gibt er nicht preis: „Auch ein Arzt sagt nicht, wie viele Blinddärme er schon operiert hat“. Der Potsdamer führt ein Buch über seine Entschärfungen, um nachschlagen zu können, wenn es einmal Probleme gibt. Dann schaue er nach, „was habe ich in dieser Situation bei anderen Bomben gemacht?“. Während Kunzendorf arbeitete, gab es an den Orten für Evakuierte freie Platzwahl. Nur 36 Bewohner aus der Schutzzone rund um das Krankenhaus warten im Oberstufenzentrum I auf das Zeichen, nach der Bombenentschärfung wieder ins traute Heim zu dürfen. Doch der fast 80-jährige Werner Braun machte sich Sorgen: „Der Mann, der da heute die Bombe entschärft, hat eine schwierige Aufgabe, denn das Material verhält sich nicht mehr so wie bei einer “frischen“ Bombe“, so Braun und sagte weiter: „Was hat uns bloß dieser Hitler bis in die heutige Zeit eingebrockt!“ jab/elfe

Jörg Isenhardt

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