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Homepage: „Den Blickwinkel gewechselt“

Zum Einsteinjahr 2005 erklärt der Potsdamer Physiker Dr. Markus Pössel vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik Albert Einsteins Relativitätstheorie, verrät ob Zeitreisen möglich sind und wieso „Wurmlöcher

Zum Einsteinjahr 2005 erklärt der Potsdamer Physiker Dr. Markus Pössel vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik Albert Einsteins Relativitätstheorie, verrät ob Zeitreisen möglich sind und wieso „Wurmlöcher“ den Physikern zur Spielwiese werden Herr Pössel, Einstein sagt uns, dass alles relativ ist? Falsch. Es gibt Dinge die, ganz ungewohnt, relativ sind, etwa Längen- und Zeitmessung, aber die Lichtgeschwindigkeit ist nach Einstein absolut. Einstein war mit dem Namen Relativitätstheorie nicht ganz so glücklich. Was bedeutet dabei relativ und absolut? Ganz einfach. Wenn auf einem Tisch die Kaffeekanne links von der Tasse steht, ist das aus meiner Sicht richtig. Für einen Beobachter der mir gegenüber sitzt, steht die Tasse allerdings rechts von der Kanne. Links und rechts sind relativ. Darüber, dass die Tasse bis zum Rand gefüllt ist, sind beide Beobachter sich dagegen einig. Das ist eine absolute Feststellung. Wie lassen sich die Aussagen und Konsequenzen der Speziellen Relativitätstheorie erklären? Das revolutionäre an Einsteins Theorie ist, dass er ein Teilgebiet der Physik hergenommen und aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachtet hat. Etliches, das bis dahin selbstverständlich schien, entpuppte sich als falsch, und die Physiker mussten umgekehrt einige sehr, sehr ungewohnte Aussagen über die Welt als richtig akzeptieren. Wie hat sich der Blickwinkel geändert? Vor Einstein ging die Physik davon aus, dass Längen und Zeiten etwas Absolutes sind. Wenn man eine Länge misst, sollte es keinen Unterschied machen, ob man dies von einem bewegten Auto oder vom Fahrbahnrand aus tut. Auch die Zeit erschien als etwas Absolutes. Wenn man die Zeit misst, die das Frühstücksei braucht, mache es keinen Unterschied ob man daneben steht oder im schnellen Auto vorbeifährt. Zweitens sind wir aus dem Alltag gewohnt, dass Geschwindigkeiten relativ sind. Wenn auf der Autobahn ein Wagen mit 100 Stundenkilometern fährt und ich ihm mit 50 Stundenkilometern entgegenkomme, dann sieht es aus meiner Sicht so aus, als nähere sich das andere Auto mit 150 Stundenkilometern meinem eigenen. Kurz: Längen und Zeiten sind absolut, und Geschwindigkeiten addieren sich. Einstein sagte nun, dass es eine absolute Geschwindigkeit gibt, die Lichtgeschwindigkeit. Die klassische Physik würde erwarten, dass das Licht relativ ebenfalls etwas schneller ist, wenn wir ihm entgegenflögen. Einstein widersprach dem. Das ist der erste neue Baustein der Relativitätstheorie. Und der zweite? Der ist schon naheliegender. Wenn ich im Weltraum an einer Raumstation vorbeitreibe, kann ich nicht sagen, welche der beiden Stationen bewegt ist und welche ruht. Ein Bewohner jeder der Raumstationen kann mit gleichem Recht von sich aus sagen, dass er in Ruhe sei und sich die andere Station bewege. Für beide gelten die gleichen physikalischen Gesetze, beide sind gleichberechtigt. Was ergibt sich aus diesen Aussagen? Wir sind ausgegangen von absoluten Längen und Zeiten und relativen Geschwindigkeiten. Nun haben wir aber eine Geschwindigkeit, die absolut ist, die Lichtgeschwindigkeit. Da muss nun an einer anderen Stelle der Theorie etwas anderes relativ werden. Und das sind bei Einstein die Längen und Zeiten. Wenn ich die Länge eines Vorgangs messe, kommt es beispielsweise für Einstein sehr wohl darauf an, ob ich mich mit hoher Geschwindigkeit an dem Vorgang vorbei bewege oder ob ich daneben ruhe. Können Sie Beispiele nennen? Ein Stab, der einen Meter lang ist, wenn er neben mir ruht, ist aus meiner Sicht nur noch 44 Zentimeter lang, wenn er mit 90 Prozent der Lichtgeschwindigkeit an mir vorbeisaust. Eine bewegte Uhr, die an mir vorbeifliegt, scheint im Vergleich mit meiner eigenen Uhr langsamer zu gehen. Und ein hypothetischer Raumfahrer, der die Erde verlässt, mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch das All kurvt und dann zu uns zurückkehrt, würde feststellen, dass die Menschen auf der Erde wesentlich mehr gealtert sind als er selbst. Reine Theorie? Keineswegs. Man kann an Teilchenbeschleunigern überprüfen, was Einstein vorhersagt. Und es zeigt sich, dass er richtig lag. Nehmen wir ein Teilchen, das normalerweise nach einer Sekunde zerfällt, und lassen es in einem Beschleuniger im Kreis rasen. Für einen Beobachter, der daneben steht, lebt das Teilchen viel länger als eine Sekunde. Das kann die herkömmliche Physik nicht erklären. In Einsteins Theorie ist ganz klar: das ist die Relativität der Zeit. Das klingt eher unvorstellbar. Es kommt noch dicker. Nehmen wir einen Silvesterböller und einen Wecker, die weit voneinander entfernt sind und aus meiner Sicht gleichzeitig explodieren und klingeln. Wenn Sie mit 50 Prozent der Lichtgeschwindigkeit an mir vorbeirasten, könnte es sein, dass aus ihrer Sicht der Wecker klingelt, bevor der Böller explodiert, und es gäbe auch bewegte Beobachter, für die die beiden Ereignisse in der umgekehrten Reihenfolge stattfänden. Für unseren absoluten Gleichzeitigkeitsbegriff, dem wir im Alltag folgen, in der Annahme es gäbe so etwas wie „die Zeit“, erscheint das paradox. Aber bei Einstein beurteilen Beobachter, die sich relativ zueinander bewegen, die Gleichzeitigkeit recht unterschiedlich. Lässt Einsteins Theorie Zeitreisen möglich erscheinen? Zeitreisen in die Zukunft sind problemlos möglich. Der erwähnte Raumfahrer auf seiner fast lichtschnellen Rundreise, könnte im Jahr 2150 auf die Erde zurückkehren, obwohl er selbst nur 20 Jahre gealtert ist – eine Reise in die Zukunft. Auch die Teilchen in den Beschleunigern werden in die Zukunft geschickt. Es soll auch so etwas wie Wurmlöcher geben, ein Tor zur Vergangenheit? Damit geraten wir in weit exotischeres Fahrwasser. Man kann Modelluniversen betrachten, in denen solche tunnelartigen Verbindungen existieren, aber die haben keinerlei praktische Anwendung. Sie können als Spielwiese dienen für die Frage, wie die Natur mit Zeitreisen in die Vergangenheit umgeht, aber das ist höchst hypothetisch, und unterm Strich sieht es doch so aus, als ob sich die Natur vor solchen Merkwürdigkeiten schütze. Einstein ließ auf die Spezielle Relativitätstheorie die Allgemeine folgen. Die Allgemeine Relativitätstheorie ist so etwas wie die Spezielle Theorie plus Gravitation. Dabei wird deutlich, dass Raum und Zeit nicht nur für bewegte Beobachter unterschiedlich sind, sondern dass sie in sich verzerrt und gekrümmt sein können. Hinter dieser geometrischen Verzerrung verbirgt sich, was in der Physik vor Einstein noch Schwerkraft hieß. Bei Einstein ist das keine Kraft sondern eine Eigenschaft von Raum und Zeit. Aus diesem neuen Bild der Gravitation ergibt sich vieles von dem, was heute in der Astrophysik erforscht wird. Es bildet die Grundlage der kosmologischen Modelle, in denen es um das Universum als Ganzes geht, sagt die Existenz der Gravitationswellen voraus, nach denen heutzutage gesucht wird, und die der Schwarzen Löcher, die aus der Astronomie längst nicht mehr wegzudenken sind. Da führt ein ganz direkter Pfad von der Speziellen zur Allgemeinen Relativitätstheorie und von dort in die aktuelle Forschung. Welches Problem stellt sich Ihnen in der Quantengravitation? Einstein hat mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie eines der Standbeine der modernen Physik geschaffen. Nun gibt es leider ein Problem mit der Quantentheorie, dem zweiten Standbein. Einsteins Beschreibung der Physik der starken Gravitationsfelder passt partout nicht zu den Quantenmodellen der kleinsten Bestandteile unserer Welt. Das ist höchst unbefriedigend, denn es gibt hochinteressante Situationen, in denen man gerne beide Theorien vereint haben möchte. Wobei spielt das eine Rolle? Zum Beispiel in der Kosmologie: Das Universum expandiert. Früher lag alles, was wir um uns herum sehen, sehr viel näher zusammen. Noch früher war das Universum ein heißes Gas aus Elementarteilchen, und all die Materie, die wir heute um uns sehen, war auf mikroskopisch kleinem Raum zusammengedrängt. Dort herrschte extrem starke Gravitation, aber man muss auch die Gesetze der Mikrowelt berücksichtigen. Wer wissen will, wie unser Kosmos entstanden ist, muss zwangsläufig wissen, wie die Quantenwelt zur Welt der starken Gravitation passt. Ein weiteres Beispiel: wer in ein Schwarzes Loch fällt, sollte im Inneren auf ein Gebilde aus hochkonzentrierter Materie stoßen, auch das eine Raumzeitregion, in der Quanten eine Rolle spielen sollten – aber auch die starke Schwerkraft.Wieder bräuchte man eine Theorie, die beide Standbeine zusammenfasst. Nach solch einer Theorie suchen die Physiker nun schon seit gut sechzig Jahren. Soll hier die Stringtheorie weiter helfen? Das ist einer der Ansätze, und er wird auch an unserem Institut weiterverfolgt. Der Anspruch der Stringtheorie geht sogar noch weiter, in Richtung einer vereinheitlichten Theorie, die nicht nur die Quantengravitation beschreiben, sondern auch alle anderen Naturkräfte einbinden will. Bei der Quantengravitation stößt die Forschung also an Grenzen? Sicher. In den sechziger, siebziger Jahren war man sehr erfolgreich damit, drei der vier Naturkräfte in das selbe Quantenformat einzupassen, den Elektromagnetismus und zwei Arten von Kernkraft. Man dachte, mit der Gravitation ließe sich der Erfolg wiederholen, und schon hätte man alle Kräfte der Welt im Rahmen der Quantentheorie beschrieben. Aber da hat sich die Gravitation als sehr viel trickreicher herausgestellt. Das dürfte daran liegen, dass Gravitation bei Einstein nicht eine Kraft wie alle anderen ist, sondern mit einer Verzerrung der Bühne zusammen hängt, auf der sich das ganze Treiben der Elementarteilchen abspielt. Welche Fragen sind heute aktuell? Zum einen, wie eine Theorie der Quantengravitation aussieht – das ist wohl die grundlegendste noch ungelöste Frage. Dann die Suche nach den Gravitationswellen. Wenn ich Raum und Zeit verzerren kann, dann muss das auch wellenartige Ausbreitungen auslösen. Die will man mit Detektoren nachweisen, eine Forschung die am AEI weit voran getrieben wird. Die dritte große ungelöste Frage ist die Kosmologie. Wir haben aus Einsteins Theorie die Urknallmodelle entwickelt, die sehr erfolgreich die Frühzeit des Universums bis zu höchsten Temperaturen beschreiben. Allerdings gibt es dabei noch rätselhafte Aspekte. Das sind beispielsweise die dunkle Materie und die dunkle Energie. Was hat es damit auf sich? Eigentlich eine paradoxe Angelegenheit. Einstein hat uns elegante kosmologische Modelle ermöglicht. Wir können das Universum als Ganzes mit einfachen mathematischen Gleichungen beschreiben. Es gäbe unzählige denkbare Universen, in denen das unmöglich ist, aber unser Universum ist so homogen und einfach aufgebaut, dass wir es mit einfachen Formeln bis 13, 14 Milliarden Jahre in die Vergangenheit zurück verfolgen können. Die einfachen Modelle haben allen Beobachtungstests standgehalten, und darauf sind die Physiker natürlich sehr stolz. Aber die Kosmologie zeigt uns auch, wie viel wir vom Universum noch nicht wissen. Denn damit die Modelle funktionieren, muss es neben der sichtbaren Materie noch exotischere Inhaltsstoffe geben, dunkle Energie und dunkle Materie. Das, was wir unter Materie verstehen, macht von der Masse des Universums nur den kleinsten Teil aus. Rund 70 Prozent der Masse des Universums steckt in dunkler Energie, die wir nicht recht verstehen. Wir können ihre einfachen Eigenschaften in Formeln fassen, aber wir wissen nicht, was für ein physikalisches Phänomen dahinter steckt. Das mahnt zur Bescheidenheit. Und die Materie? Es wird leider noch schlimmer. Von den restlichen 30 Prozent sind nur fünf Prozent diejenige Materie, die wir verstehen und kennen. Das andere ist eine Form der Materie, die kein Licht aussendet und von der die Astronomen noch nicht wissen, was dahinter steckt. Es deutet einiges darauf hin, dass es sich bei einem Großteil davon um Elementarteilchen handelt, die mit dem Rest des Universums, etwa den Teilchen, aus denen wir bestehen, kaum interagiert. Diese Teilchen scheinen ein abgeschirmtes, abgeschiedenes Leben zu führen. Sie verraten sich nur durch ihren Schwerkrafteinfluss auf die herkömmliche Materie und auf das Licht. Der Raum des Universums ist unendlich? Gut möglich, aber Einsteins Theorie bietet auch die Möglichkeit, dass der Raum endlich ausgedehnt ist, jedoch ohne eine Grenze zu haben. Ähnlich wie die Oberfläche einer Kugel, die auch nur von endlicher Ausdehnung ist; wenn ich aber darauf herumlaufe, werde ich nie an eine Grenze stoßen. Wobei sich die Frage stellt, was sich außerhalb der Kugel befindet. Da täuscht die Verbildlichung. Mathematisch kann man gekrümmte Flächen beschreiben, ohne dass es ein Außerhalb geben muss. Bei Einstein ist der Raum dreidimensional und gekrümmt, ohne dass da eine vierte Dimension sein müsste, in die er eingebettet ist. Das Gespräch führte Jan Kixmüller Markus Pössel beschäftigt sich am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Golm mit der Stringtheorie. Er hat zudem mehrere Bücher zu Einsteins Relativitätstheorie veröffentlicht.

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