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Landeshauptstadt: Binationales Braten

Azubis aus Frankreich kochen und lernen in Potsdam

Azubis aus Frankreich kochen und lernen in Potsdam Sie soll sie herumdrehen! Christian Schäfer möchte seiner französischen Kochpartnerin Amelie sagen, dass sie die Pouladenbrüste vor sich auf dem Herd in der Pfanne herumdrehen soll – und zwar schnell. Sonst brennen sie an. Nur wie? Was heißt herumdrehen auf Französisch? Der 17-jährige Koch-Azubi greift schnell zum Wörterbuch, blättert nach, findet das Wort auf die Schnelle nicht, wendet sich wieder an die junge Französin und macht ihr mit Gesten klar, was er will. Gerade noch rechtzeitig versteht sie und wendet die Fleischstücke. Das war knapp. So oder ähnlich geht es an diesem Donnerstagvormittag öfter zu in der Küche des Oberstufenzentrums Johanna Just an der Berliner Straße: Sprachprobleme verkomplizieren das gemeinsame Arbeiten einer Gruppe von 30 angehenden Köchen und Restaurantfachleuten aus Deutschland und Frankreich mitunter erheblich. Ansonsten, so bestätigen Franzosen wie Deutsche fast einhellig, versteht man sich prächtig. Vor allem seit einer gemeinsamen Bierprobe. Die Franzosen wissen nun ganz genau, wann und wo man in Deutschland „Prost“ sagt. Und die Deutschen haben gelernt, dass auch die Franzosen (neben Rotwein) gern Bier trinken. „Respekt hat man schon – aber irgendwie muss es gehen“, sagt Schäfer, Azubi im Hotel Bayrisches Haus, während er die goldbraun gebratenen Filets auf Teller dirigiert und für den Transport ins Speisezimmer vorbereitet. In drei Wochen wird er zum ersten Mal in seinem Leben nach Frankreich reisen. Dann erwidert die deutsche Gruppe den Besuch der Franzosen aus dem Burgund. Zweier-Teams werden in Restaurants im Umland von Dijon arbeiten. Aber erst mal ist es umgekehrt: Amelie begleitet „ihren Deutschen“, packt in der Küche des Hotels mit an. Hinter Schäfer drehen unterdessen der Franzose Franck und sein Partner Christian Zausch in einer wortwörtlich deutsch-französischen Gemeinschaftsproduktion noch schnell ihren Teig durch die Nudelmaschine, immer abwechselnd. „Schneller“, sagt Christian auf englisch und der stämmige Franck kurbelt schneller. Englisch als „Notsprache“ wenn“s eilig ist – und die beiden sind tatsächlich spät dran. Gleich müssen die Nudeln in den Ofen, sonst werden die Filets wieder kalt. „Sich kennen lernen, über den Tellerrand gucken, bestenfalls Klischees abbauen. Das sollte allen möglich sein“, sagt Dorothea Wollenberg, Organisatorin des Schüleraustausches. Die Französischlehrerin organisiert seit vier Jahren die gegenseitigen Besuche. Eine Arbeit, die lange vor der Anreise beginnt; bereits ab Februar schreibt sie Briefe an Unternehmen, wirbt bei den Schülern des zweiten Lehrjahres für das Frankreich-Programm, für das man sich bewerben muss. In der Regel stellen die Unternehmen ihre Azubi-Angestellten in der Abwesenheit frei. „Letztendlich profitieren auch die Arbeitgeber davon, wenn ihre Auszubildenden Auslandserfahrung sammeln.“ Anders als die Deutschen werden die Franzosen in einem Internat ausgebildet. Zwei Jahre Unterricht werden nur von kurzen Praxisphasen unterbrochen. „Und auch darum geht es“, sagt Wollenberg: „Beide Seiten sollen die unterschiedlichen Ausbildungsgänge kennen lernen.“ Im Nebenzimmer wird mittlerweile die Poulardenbrust serviert, ergänzt um Pfefferrahmsauce, die selbst gemachten Nudeln und gefüllte Tomaten. Zuvor haben Servicekräfte – dezent gekleidet in weiß und schwarz – die Tische fachgerecht eingedeckt: Nach Art der Gäste, wie Stojan Aberspach vom Seminaris Seehotel beobachtet hat. „Die Franzosen stellen ein Glas auf den Tisch – fertig; wenn die Tischdecke auch mal eine Falte schlägt – na gut. Hier sehen wir das anders, aber die Franzosen sind unsere Gäste.“ Frankreich, das Land des Laissez-faire und Deutschland als Ort der Korrektheit – scheinbar kann kein Klischee kann so falsch sein, dass es nicht auch ein Fünkchen Wahrheit in sich trüge. Aberspach, Azubi im Seminaris Seehotel, hatte bereits vier Jahre Französischunterricht, kann im Zweifel für andere übersetzen und freut sich auf die Zeit im Ausland: „Es geht um neue Erfahrungen, das muss man mitnehmen.“ Und dazu gehört auch, dass die Gläser manchmal eben da stehen bleiben, wo sie stehen. Selbst im eigenen Land. Inzwischen sind alle Teller hereingetragen worden: Pouladenfilets mit Bandnudeln. Beide Seiten des Fleisch sind gleich braun gebraten. Gerade noch rechtzeitig umgedreht. Holger Dirks

Holger Dirks

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