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Diese Gedenkstätte erinnert an die letzten Kriegstage, als die SS etwa 30.000 Häftlinge des KZ Sachsenhausen in den Nordwesten des Landes trieb.

© picture alliance/dpa

Überlebende der Todesmärsche berichten: „Niemand steht da und sagt ‘Ich war Zeuge’“

Im Frühjahr 1945 schleppen die Nazis Häftlinge aus den KZs in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern Richtung Westen. Der Film „nicht verRecken“ widmet sich ihren Schicksalen.

Jeder bekam ein Stückchen Brot, zwei oder drei Wurstscheiben. Und sogleich haben wir eine feste Route eingeschlagen. Nach Nordwesten, Richtung Ostsee. Wir kannten das Ziel nicht. Aber uns war bewusst, dass dies das Ende sein würde.“ Guy Chataigné, Überlebender des Konzentrationslagers Sachsenhausen, wurde im Frühjahr 1945 gemeinsam Tausenden mit anderen Inhaftierten auf die sogenannten „Todesmärsche“ Richtung Westen geschickt.

Häftlinge aus den Lagern Sachsenhausen und Ravensbrück müssen bis zu 250 Kilometer marschieren. Tausende kommen dabei um. Das ist heute mehr als 70 Jahre her. An das Geschehene erinnert sich Chataigné detailliert.

Manche wollen nicht sprechen

Der Filmemacher Martin Gressmann („Das Gelände“) hat gemeinsam mit der Potsdamer Historikerin Janine Fubel die „Todesmärsche“ aus den KZ in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern nachgezeichnet. In seinem Film „nicht verRecken“ lässt er Zeitzeugen und Beobachter zu Wort kommen. Seine Protagonisten sind damals Jugendliche, um die 15 bis 17 Jahre alt. Viele erinnern sich wie Chataigné sehr genau an die Märsche. 

Filmemacher Martin Gressmann.

© Anna Bückmann

Mit rund zwei Duzend Überlebenden spricht Gressmann. Hinzu kommen etwa zehn Beobachter:innen, die die Häftlingskolonnen durchs Dorf marschieren sahen. Die Suche nach denen, die noch leben und von dem Geschehen berichten können, wird immer schwieriger. Viele sind bereits gestorben. Andere so alt, dass sie nicht mehr sprechen können. Manche wollen es auch nicht. „Niemand in Brandenburg steht da und sagt: Ich war Zeuge“, sagt Gressmann. Wenn man ihnen aber das Mikrofon hinhalte, redeten sie viel. 

Gingen sie am Haus vorbei?

Martina Weyrauch, Leiterin der Brandenburgischen Landeszentrale für politische Bildung, sagt, Schweigen sei für manche auch notwendig, um mit der Vergangenheit umzugehen. Die Landeszentrale zeigt Gressmanns Film im Thalia-Kino in Potsdam-Babelsberg am 8. Februar. Im Anschluss sprechen Gressmann und Fubel dazu. 

Teil der Route: Der Luchweg im Kremmener Luch in Brandenburg.

© Salzgeber & Co. Medien GmbH

Auf die Idee für seinen Film kam Gressmann, als er in Brandenburg mit Freunden nach einem Haus suchte. Ihm fielen die Emaille-Schilder auf, auf denen „Todesmarsch April 1945“ stand. Er fragte sich, ob die Gefangenen auch an seinem Haus vorübergingen, und begann mit der Recherche. Gressmann suchte Zeitzeugen in Altenheimen, durch Zeitungsanzeigen, in Archiven. Er wurde nach und nach fündig. Fünf Jahre dauerte diese Arbeit. Janine Fubel begann 2015 mit ihrer Doktorarbeit über die „Todesmärsche“.

Sie und Gressmann begegneten sich in der Gedenkstätte Todesmarsch im Belower Wald. Sie stammt aus Rheinsberg und erinnert sich daran, im Alter von sechs oder sieben Jahren ebenfalls vor den „Todesmarsch“-Tafeln gestanden zu haben. Für ihre Doktorarbeit stellte sie die Frage: Wie konnten diese Märsche so lange anhalten? 

„Gravierende Leerstellen“

Fubel recherchierte unter anderem in Moskau, London und Budapest. „Es gibt gravierende Leerstellen in der Geschichte.“ Vor allem zu bestimmten Gruppen wie die der Sinti und Roma. Auch die Recherche zu Frauen auf „Todesmärschen“ sei schwierig. Heute wisse sie, dass es auch diese gegeben hat. Sie gingen weiter hinten in der Kolonne, da von ihnen aus Sicht der SS die geringste Gefahr ausging. Fubels Forschungsarbeit widmet sich damit auch einem bislang nicht ausreichend beleuchteten Aspekt der Deportationen. 

Gressmanns Film zeichnet die Routen der Todesmärsche sehr genau nach. Doch durch seine nüchterne Betrachtung, ohne historische Bilder, lenkt er den Blick auf die Menschen. Im Mai 1945 werden jene, die überlebten, von der Roten Armee und der US-Armee befreit.

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