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Brandenburg: „Die Halbwertszeit der Zivis sinkt“

Raul hat seinen Super-Zivi gefunden / Manche Einrichtungen suchen verzweifelt

Raul hat seinen Super-Zivi gefunden / Manche Einrichtungen suchen verzweifelt Von Michael Kaczmarek „Mir gehen langsam die Freunde im Zivildienst-Alter aus“, sagt Raul, der als Glasknochenpatient auf einen Helfer für den Alltag angewiesen ist. Osteogenesis imperfecta lässt seine Knochen leichter brechen als bei anderen Menschen. Außerdem ist er nur 83 Zentimeter groß und sitzt deshalb im Rollstuhl. Sein Freund und aktueller Zivi Jannis ist die Nummer vier – für Zivi Nummer fünf hat sich Raul etwas Besonderes einfallen lassen: Mit Hilfe des Radiosenders Fritz hat er diese Woche im Sendegebiet nach dem Super-Zivi Ausschau gehalten. Von mehr als 30 Bewerbern hatten sich drei für den gestrigen live-Ausscheid im Fritz-Studio qualifiziert. Nach Behindertenwitze erzählen und dem Rollstuhlfahren-Schnelltest stand fest: Dennis aus Mühlenbeck bei Oranienburg bekommt den Job ab April. Der 20-jährige Dennis hofft, dass er mit Raul einen „soften Zivijob“ haben wird, der nicht so anstrengend ist, wie Nachtschichten im Krankenhaus zu schieben. „Mir haben das Freunde erzählt und darauf hätte ich wirklich keine Lust“, sagte der frisch gekürte Super-Zivi des Fritzlandes gestern abend. Die Qual der Wahl um den besten Zivi wird vielen sozialen Einrichtungen abgenommen. Viele Zivildienstplätze können in Brandenburg nicht mehr so leicht besetzt werden wie noch vor wenigen Jahren. „In der Potsdamer Wohnstätte für psychisch Behinderte ,Montevini’ sucht die Leiterin schon seit August einen Neuen, aber es gibt nicht einmal Anfragen“, erklärt Konstantin Engels, Landesgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes die aktuelle Lage. Nicht besetzte Zivi-Plätze Er schätze, dass es in Brandenburg etwa 200 bis 300 freie Zivi-Plätze gebe, da es nicht mehr genügend Zivildienstleistende gibt. „Wenn die abzuleistende Zeit der Zivis bei gleicher Stellenanzahl in den Einrichtungen immer weiter sinkt, dann fehlen die Zivis eben teiweise jetzt schon“, beschreibt Engels den langsamen Abschied vom staatlich finanzierten Wehrersatzdienst. Im Land Brandenburg sind zur Zeit über 2600 Zivis im Einsatz – Plätze gibt es aber über 4700, zeigt eine Statistik des Bundesamtes für Zivildienst. „Sowohl deutschlandweit als natürlich auch in Brandenburg sinken die Zahlen der Zivildienstleistenden kontinuierlich“, sagt Rüdiger Löhle vom Kölner Bundesamt. Um die Kosten für den Staat einzudämmen, seien die Kriterien für junge Männer, die zum Zivildienst einberufen werden, verschärft worden. „Wer schlechter als mit der Tauglichkeitsstufe 3 gemustert wird, wer verheiratet oder wer älter als 23 Jahre ist, wird nicht mehr zum Zivildienst herangezogen“, erklärt Löhle. Die freien Stellen gehen allerdings nicht nur auf den Mangel an potentiellen Zivis, sondern vor allem auf ein Kostenproblem der Träger zurück. Der Paritätische Wohlfahrtsverband benennt in Potsdam ein Beispiel: „Für eine Kindertagesstätte ist so eine Stelle ein Luxus, der natürlich nicht mehr in Anspruch genommen wird, wenn die Stadt die Mittel gekürzt hat“, erklärt Engels. Die Kosten für einen Zivildienstleistenden betragen etwa 7000 Euro pro Jahr, sagt Heinz-Günther Jaster vom brandenburgischen Landesverband des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Dabei müssen von den Trägern 30 Prozent der Stelle selbst finanziert weden. „Ein Zivi bringt zwar Leistung, aber verursacht auch Kosten“, so Jaster vom DRK. Außerdem werde der Aufwand für den Träger immer höher, je kürzer die Stelle besetzt wird. Oder wie Raul es gestern im Fritz-Studio ausdrückte: „Die Halbwertszeit eines Zivis sinkt immer weiter.“

Michael Kaczmarek

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