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Brandenburg: Der Anti-Klezmer

Albert Meyer wird neuer Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Er will sparen und modernisieren

Albert Meyer wird neuer Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Er will sparen und modernisieren Von Claudia Keller Berlin. Albert Meyer ist ein Genussmensch, der sich Leidenschaften gönnt. Die für die Jüdische Gemeinde zum Beispiel. Ab heute Abend wird er mit großer Wahrscheinlichkeit ihr neuer Vorsitzender sein. Denn seine liberale „Kadima“-Liste hat bei der Wahl vor vier Wochen 20 der 21 Sitze im Gemeindeparlament errungen, heute Abend findet die konstituierende Sitzung statt. Die Jüdische Gemeinde Berlin ist mit 12000 Mitgliedern die größte in Deutschland. Ihr vorzustehen, ist nicht unbedingt ein angenehmer Job. Denn in den vergangenen Jahren fiel die Gemeinde oft durch interne Querelen auf, wobei der Gegensatz zwischen den 70 Prozent russischen Einwanderern und den angestammten Berliner Juden nur eine von mehreren Kampfzonen ist. Aber noch ist es nicht so weit, sondern erst Dienstagvormittag, Albert Meyer sitzt an einem schweren alten Schreibtisch in seiner weitläufigen Westberliner Anwaltskanzlei. Und hier fällt als erstes seine Leidenschaft fürs Sammeln auf. In den dunklen Regalen, die sich bis zur Stuckdecke strecken, liegen jede Menge alter Uhren, Fotoapparate, Auto- und Eisenbahnenmodelle. „Andere sammeln Frauen, ich bin seit zehn Jahren verheiratet“, sagt Meyer und lacht. Der Mann ist 56 Jahre alt, hat kurzes graues Haar und lacht gerne. Es ist kein verschämtes Auflachen, sondern ein tiefes, volles Lachen, das von Selbstbewusstsein nur so strotzt, vor allem dann, wenn sich Meyer dabei jovial im eleganten Ledersessel zurücklehnt. Im Regal liegt auch ein Berliner Adressbuch aus dem Jahr 1937. Der dicke Wälzer ist für Meyer ein Wegweiser aus der Finanzkrise der Jüdischen Gemeinde. Denn mit seiner Hilfe hat der Anwalt herausgefunden, dass die Gemeinde vor allem durch Grundstücke und Immobilien in Mitte Ansprüche in mehrfacher Millionenhöhe gegenüber der Jewish Claims Conference geltend machen könnte. Bisher habe die lediglich „Peanuts“ gezahlt, hier und da mal eine Rente. Jetzt verhandelt Meyer mit ihnen neu. Das ist ein Baustein seines Sanierungsplanes, mit dem er die Gemeinde in den kommenden vier Jahren entschulden will. Ein anderer ist der Personalabbau in der Gemeindeverwaltung. In den vergangenen Jahren seien Mitarbeiter eingestellt worden, obwohl es einen Einstellungsstopp gab, sagt Meyer. Da müsse man nun jeden Arbeitsplatz überprüfen, „ob der unbedingt notwendig sei“. Etliche Mitarbeiter würden demnächst in den Ruhestand gehen, ihre Stellen sollen wegfallen. Mit dem dadurch gesparten Geld will er die jüdischen Schulen absichern. Das Jüdische Gymnasium zum Beispiel, das der Gemeinde jährlich ein Defizit von 500000 Euro beschert. „Bildung ist die Zukunft des Judentums“, sagt Meyer und weiß, wovon er spricht. Er kommt aus einer großbürgerlichen Berliner Familie, die schon seit Generationen in die Bildung ihrer Kinder investiert. Albert Meyers Großvater hatte ein Kaufhaus in der Frankfurter Allee, sein Vater war Anwalt, bis ihm die Nazis die Ausübung seines Berufes verboten. Er und seine Frau überlebten die Judenverfolgung im Untergrund. Albert Meyer selbst ist in der Schweiz und in England zur Schule gegangen. Bildung ist für ihn auch der Königsweg, um die russischen Juden besser zu integrieren. „In diesem Bereich wollen wir massiv investieren“, sagt Meyer. Zum Beispiel in Deutschkurse. Denn ansich seien die vielen Russen ja ein „Segen“ für die Gemeinde. Es seien viele Akademiker gekommen, viele Künstler, von denen allerdings in den vergangenen Jahren viele aus der Gemeinde ausgetreten seien. Die will Meyer zurückholen, weil er sich von ihnen eine intellektuelle Erneuerung der Gemeinde erhofft. Denn Meyer will die Berliner Juden wegbringen vom Klezmer-Image. „Mein Vater hätte sich im Grab umgedreht“, sagt der Anwalt, der lieber in die Oper geht. Klezmermusik stammt aus einer längst untergegangenen Welt, und allzu viel zurückzuschauen, scheint Meyers Sache nicht zu sein. Das geplante Holocaust-Mahnmal ist für ihn „der reinste Horror“. Für das viele Geld hätte er lieber eine hochkarätige Hochschule für jüdische Wissenschaften nach Berlin geholt. „Das hätte den lebenden Juden etwas gebracht. Das Mahnmal nutzt weder den Toten noch den Lebenden.“ Seine ganz private Zukunft steht gleich dutzendfach im Regal: Gerahmt, ungerahmt, in großen und kleinen Fotos schaut ihm die achtjährige Tochter bei der Arbeit zu. Für sie tut er alles – sogar Schabbat feiern und in die Synagoge gehen. Denn ansonsten halte er es mit den jüdischen Riten eher wie jener Rabbi, der in einer Metzgerei Parmaschinken kauft und auf die erstaunte Frage des Metzgers antwortet: „Ich will nicht wissen, wie der Fisch heißt“.

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