zum Hauptinhalt

Politik: Zweite Wahl

In der Ukraine debattieren Regierung und Opposition über die Bedingungen für eine neue Abstimmung

Mit der Drohung einer Abspaltung des Ostens der Ukraine hat sich Premier Viktor Janukowitsch selbst ins Abseits manövriert. Die meisten Oligarchen außerhalb des Donbass wenden sich von ihrem bisherigen Schützling ab. Die Opposition drängt auf eine Wiederholung der verfälschten Präsidentenwahl noch in diesem Jahr.

Staatschef der Ukraine kann Janukowitsch trotz seines Auszählsiegs bei der verfälschten Präsidentenwahl Mitte November wohl kaum mehr werden. Doch zumindest auf der Regierungsbank darf der einstige Boxer vorläufig weiter ausharren. Am Dienstag bügelte das Parlament den ersten von der Opposition gegen den Premier eingereichten Misstrauensantrag mehrheitlich ab. Es kam zu Tumulten. Hunderte von Demonstranten durchbrachen die Absperrungen vor dem Parlamentsgebäude, riefen nach der Abstimmung „Raus aus der Regierung“.

Doch nicht nur weil die Opposition an diesem Mittwoch einen neuerlichen Anlauf zu seiner Absetzung plant, ist das Votum des Parlaments für den 54-jährigen Regierungschef kaum mehr als ein Phyrrus-Sieg.

Janukowitschs Absicht, sich per Wahlmanipulationen den Einzug in den Präsidentenpalast zu verschaffen, ist an den seit zehn Tagen währenden Massenprotesten der Anhänger von Oppositionschef Viktor Juschtschenko und dem Frontenwechsel großer Teile des Staatsapparats gescheitert. Mit der Drohung der Abspaltung des russischsprachigen Ostens und Südens des Landes hat der Premier sich ins Abseits manövriert, selbst den Großteil seiner bisherigen Gönner und Bundesgenossen gegen sich aufgebracht.

Zu Wochenbeginn kündigte mit dem Industrie-Oligarchen Viktor Pintschuk der zweitreichste Mann des Landes seinen Widerstand gegen jegliche Sezessionsbestrebungen an. Auch andere Industriemagnaten und Gouverneure im russischsprachigen Osten und Süden des Landes setzen sich inzwischen deutlich von Janukowitsch ab: Mehrere Bezirksverwaltungen haben die für Dienstag angesetzten Ratstagungen über die Durchführung eines Autonomie-Referendums abgeblasen. An diesem Mittwoch werden Polens Präsident Aleksander Kwasniewski und der EU-Beauftragte für Außenpolitik, Javier Solana, einen neuen Vermittlungsversuch in der Ukraine machen – sie wollen beide Seiten wieder an den Verhandlungstisch bringen.

Präsident Leonid Kutschma, der Janukowitschs Taktik der Separationsdrohung zunächst zumindest gebilligt hatte, beteuert jetzt, eine Spaltung des Landes niemals zuzulassen, macht sich stattdessen für Neuwahlen stark. Janukowitschs bisheriger Wahlkampfchef Sergej Tihipko meldet gar offen eigene Präsidentschafts-Ambitionen an. Einzig der wichtigste Förderer des Premiers hält noch an ihm fest: Mit dem Donetzker Clan-Chef Rinat Achmetow weiß der Premier nach wie vor den reichsten Mann des Landes hinter sich.

Im Gegensatz zu der sich im Aufwind fühlenden Opposition mangelt es der bröckelnden Staatsmacht an einer klaren Strategie. Kutschma scheint auf Zeit zu spielen, zielt auf die Wiederholung der gesamten Wahl im nächsten Jahr. Auch der bei seinen Auftritten zunehmend nervöser wirkende Janukowitsch scheint mit seinem Latein ein wenig am Ende. Undeutlich ist, ob er sich tatsächlich einer für ihn aussichtslosen Neuwahl stellen wird, weiter mit russischer Hilfe an dem keineswegs ungefährlichen Separations-Szenario zündeln will oder sich als Kämpfer für die Interessen des russischsprachigen Ostens in der Opposition neu zu profilieren sucht.

Thomas Roser[Kiew]

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false