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Politik: „Wir machen Politik für die Mehrheit“ Grünen-Chef Bütikofer über Arbeitsplätze, Gipfeltreffen, Visa-Affäre – und Sprüche von Mao und Adenauer

TONLAGE Unter dem Druck der VisaAffäre zeigte sich die Grünen-Führung miserabel aufgestellt. Anders als Co-Parteichefin Claudia Roth steht Bütikofer auch in der Krise für Ruhe und Sachlichkeit.

TONLAGE

Unter dem Druck der VisaAffäre zeigte sich die Grünen-Führung miserabel aufgestellt. Anders als Co-Parteichefin Claudia Roth steht Bütikofer auch in der Krise für Ruhe und Sachlichkeit.

DISTANZ

Als eine Stärke des vor zweieinhalb Jahren gewählten Parteichefs gilt seine Unabhängigkeit vom Außenminister. Er ist der einzige Realpolitiker, der es mit Distanz zu Fischer an die Spitze der Partei geschafft hat.

PERSPEKTIVE

Manche Grüne überlegen, was Bütikofer tut, wenn die Interessen der Partei und Fischers nicht mehr übereinstimmen sollten.

Herr Bütikofer, beunruhigt Sie die miese Stimmung in Deutschland?

Die Meinungslage ist wankelmütig. Es gibt aber keinen Grund, schlechte Stimmung noch zu verstärken. Auf dem, was angepackt ist, sollte man aufbauen, statt es klein zu reden.

Das müssen Sie uns erläutern.

In der Debatte über den Zehn-PunktePlan der Union im Bundestag hat CDUChefin Angela Merkel gefordert, endlich mit dem Klein-Klein in Deutschland aufzuhören und einen großen Wurf zu wagen. Warum hat Sie nicht erklärt, dass unsere von der Union mitbeschlossene Arbeitsmarktreform ein ganz großer Schritt nach vorne ist, dass unsere ebenfalls mit der Union verabschiedete Gesundheitsreform einen Überschuss von vier Milliarden Euro in die Kassen gespült hat? Die aktuelle Stimmung kommt nicht einfach so über das Land. Wir wären schon viel weiter, wenn alle, auch die Opposition, auf den Modus Aufbruch umschalten würden.

Sie brauchen die Opposition aber für den Jobgipfel am Donnerstag.

Dabei wird mehr herauskommen, als Angela Merkel und Edmund Stoiber im Sinn hatten, als sie ihren Brief an den Kanzler schrieben. Das wäre eine gute Entwicklung. Und es wäre eine gerechte Strafe für den eigentlich nur taktisch gemeinten, unernsten Vorstoß.

Wie das?

Die Union wollte die Regierung vorführen, gerät aber nun selbst unter Druck und wird gezwungen, manche ihrer Blockadepositionen zu räumen. Hier gilt der schöne alte Spruch von Mao Tsetung: Der Stein, den sie erhoben haben, wird ihnen auf ihre eigenen Füße fallen.

Jenseits der Häme: Was erwarten Sie inhaltlich?

Bei der Frage Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und Senkung der Lohnnebenkosten sind wir ja schon auf dem richtigen Weg. Ich hoffe auf Bewegung bei den Zuverdienstmöglichkeiten für Langzeitarbeitslose oder bei der Altbausanierung. Und ich sehe Chancen, dass sich Koalition und Opposition über die Grundzüge einer Unternehmenssteuerreform verständigen. Da wird man am Donnerstag auf Grund schwieriger technischer Fragen nicht zum Abschluss kommen. Es könnte aber eine Verständigung über Grundsätze geben.

Was sind Ihre Vorgaben dafür?

Eine Unternehmenssteuerreform darf nicht zu Steuerausfällen führen, weil der Staat seine Leistungen nicht noch weiter beschneiden kann. Das heißt, dass wir jede Steuersatzsenkung durch eine Verbreiterung der Bemessungsgrundlage gegenfinanzieren müssen. Eine steuerliche Privilegierung thesaurierter Gewinne ist ökonomisch zweifelhaft. Ich halte es für ein positives Signal, dass Unions-Fraktionsvize Michael Meister über eine solche Gegenfinanzierung sprechen will. Damit setzt er sich deutlich von der neoliberalen Linie seines Vorgängers Friedrich Merz ab. Mal sehen, was es wert ist.

CDU-Chefin Merkel stellt Bedingungen für den Jobgipfel. Kann die Koalition auf die Forderung eingehen, jene Teile des Antidiskriminierungsgesetzes zu streichen, die über EU-Vorgaben hinausgehen?

Das wird die Koalition nicht tun. Frau Merkel soll einmal Menschen mit Behinderungen in diesem Land erklären, warum Reiseveranstalter, Restaurants oder Wohnungsunternehmen weiterhin die Möglichkeit haben sollen, sie zu diskriminieren. Will Frau Merkel die Partei mit dem C im Namen auf hartherziges FDP-Maß bringen?

Im Angesicht der Rekordarbeitslosigkeit steht Ihre Partei plötzlich ganz besonders in der Kritik. Ist grüne Politik ein Luxus für bessere Zeiten?

Nein, Modernität ist kein Luxus. Wir nehmen die Herausforderung der Arbeitslosigkeit als zentrale Aufgabe an. Deshalb haben wir auch gegen viele Widerstände die sozial- und arbeitsmarktpolitischen Reformen durchgesetzt, die auf eine Stärkung der Wachstumsimpulse setzen. Wir haben zum Reformprogramm des Kanzlers in einer Zeit gestanden, in der seine eigenen Truppen bedenklich schwankten. Jetzt treiben wir die Diskussion voran und suchen nach Wegen zur weiteren Senkung der Lohnnebenkosten, Stichwort Bürgerversicherung.

Hängt die Kritik an den Grünen damit zusammen, dass Arbeitslosigkeit und Arbeitsmarktreformen Ihr Klientel kaum treffen?

Unsere Leute sind doch von den Arbeitsmarktreformen auch berührt. Zum einen haben wir Wähler aus allen Schichten. Zum andern kenne ich auch Akademiker aus unserer Kernwählerschaft, die nun Angst vor einem Abrutschen auf Sozialhilfeniveau haben. Trotzdem ist die Reform richtig. Grüne Politik ist keine Addition von Sonderinteressen. Sie will das Gemeinwohl stärken. Wir machen Politik im Interesse der Mehrheit und der Zukunft.

Warum stehen Sie nun als Jobkiller und Blockierer da – etwa auf dem Feld der Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft?

Wir vertreten eine ordnungspolitisch klare Position: Wir wollen, dass die Menschen die Wahlfreiheit haben. Wir wissen, dass die Agrogentechik in der Welt ist und wir sie nicht wegzaubern können. Aber die Selbstbestimmung der Produzenten und Konsumenten ist ein Grundwert, der erhalten bleiben muss – darin besteht der Unterschied zur Union, die Genfood jedem aufdrücken will, egal ob er möchte oder nicht. Gleichzeitig sagen wir, dass Gentechnik in geschlossenen industriellen Anlagen, „weiße Gentechnik“, ein hohes Wachstumspotenzial hat. Wir sind da durchaus offensiv aufgestellt. Mit unseren umwelt- und wirtschaftspolitischen Vorstößen haben wir zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Dynamik beigetragen – nicht zuletzt für die Auto- und die Chemieindustrie.

In Nordrhein-Westfalen liegen SPD und Grüne vor der Wahl hinten – die Visa-Affäre verstört die SPD-Wähler. Hoffen Sie darauf, dass vom Visa-Ausschuss bis zum 22. Mai keine neuen Störsignale mehr kommen?

Das Thema bleibt uns wohl noch etwas erhalten. Die Union wird versuchen, den Ausschuss möglichst lange am Laufen zu halten. Wir werden keine Antwort schuldig bleiben.

Warum sagen die Grünen: Fischer bleibt im Amt, egal, was der Ausschuss schließlich herausfindet?

Sie werden dieses Zitat von keinem grünen Spitzenpolitiker finden. Wir nehmen die Arbeit des Untersuchungsausschusses ernst.

Der Bundeskanzler hat genau das erklärt.

Für uns gilt: Wenn man die Fehler, die Joschka Fischer klar benannt hat, auf eine Waagschale legt, seine Verdienste auf die andere, kommen wir zu dem eindeutigen Ergebnis: Es ist gut, dass Joschka Fischer weitermacht. Noch nicht einmal die CDU rechnet damit, dass sich daran etwas ändert.

Warum hat es so lange gedauert, bis die Grünen überhaupt Fehler bei der VisaVergabe einräumten und ihr Interesse an Aufklärung entdeckten?

Darf ich Adenauer zitieren? Es hindert mich niemand daran, schlauer zu werden.

Hat die moralische Glaubwürdigkeit der Grünen durch die Praxis der Verdrängung gelitten?

Was wir an Glaubwürdigkeit verloren haben, müssen wir zurückerobern.

Alice Schwarzer wirft den Grünen mit Blick auf mögliche Fälle von Zwangsprostitution im Rahmen der Visa-Affäre moralische Verkommenheit vor. Schmerzt das?

Alice Schwarzer argumentiert mit flammendem Schwert. Mit den Fakten geht sie allerdings zu freihändig um. Sie wirft uns vor, für die Grünen sei Prostitution ein Beruf wie jeder andere. Das ist nicht unsere Position. Die Grünen haben nichts zu tun mit dem Zerrbild, das Alice Schwarzer zeichnet. Eine Politik, die die Rechte von Prostituierten stärkt, zielt nicht auf die Förderung von Prostitution. Im Gegenteil. Wir haben die Gesetzeswaffen gegen die Zwangsprostitution geschärft.

Als Joschka Fischer vor zwei Jahren Chefaußenpolitiker der EU werden wollte, entbrannte bei den Grünen ein heftiges Gerangel um seine Nachfolge als Minister. Ist das in der Visa-Krise nun ähnlich?

Dafür sehe ich keine Anzeichen.

Sie selbst kennen sich als Fachmann für amerikanische und chinesische Politik doch in der Welt gut aus. Wollen Sie Außenminister werden?

Nein, danke. Und die Frage stellt sich auch gar nicht. Wir haben einen sehr erfolgreichen Außenminister, und ich möchte den Job gut machen, den ich mache.

Das Gespräch führten Hans Monath und Gerd Appenzeller. Das Foto machte Mike Wolff.

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