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Christian Lindner und Lisa Paus im Bundeskabinett (Archivbild vom 25. Mai 2023)

© Imago/Florian Gaertner

Wenn Minister ein Veto einlegen: Paus blockiert Lindner – darf sie das?

Die Familienministerin stoppt per Leitungsvorbehalt das Wachstumschancengesetz des Finanzministers. Was ist das? Und wie kam es dazu?

Wie ist es möglich, dass eine einzelne Ministerin mal eben im Kabinett ein Gesetz blockieren kann? Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat das getan. Die Beschlussfassung der Bundesregierung zum Wachstumschancengesetz von Finanzminister Christian Lindner (FDP) liegt nun praktisch auf Eis – bis zur Kabinettsklausur in Meseberg am 29. und 30. August.

Ein Veto einlegen können im Verlauf der Beratungen vor der entscheidenden Kabinettssitzung alle Mitglieder. Es kommt sogar relativ häufig vor, auch in der Ampelkoalition.

Im Juli etwa legte Lindner ein Veto gegen den Entwurf eines Gesetzes von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ein. Im Juni war es Justizminister Marco Buschmann, der Bedenken gegen einen Entwurf aus dem Wirtschaftsministerium hatte. Man kann die Reihe locker fortsetzen.

Gut gelaunt vor dem Eklat: Das Bundeskabinett am Mittwoch, bevor der Kanzler die Runde eröffnete. 

© dpa/Kay Nietfeld

Wobei Veto eigentlich das falsche Wort ist. Weder die Geschäftsordnung der Bundesregierung noch die Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien kennen diesen Begriff. Wenn ein Kabinettsmitglied einen Vorgang stoppen will, dann spricht man üblicherweise von „Leitungsvorbehalt“.

War der Vorbehalt von Paus „sachfremd“?

Aber auch diesen Begriff sucht man in den Geschäftsordnungen vergeblich. Er ist in der Behördensprache allerdings üblich, wenn es darum geht, dass eine Leitungsebene sich einen Vorbehalt einräumt – zur Genehmigung einer Maßnahme etwa oder eben zur Zustimmung zu einem Gesetzentwurf.

Legt ein Minister oder eine Ministerin der Bundesregierung einen solchen Leitungsvorbehalt ein, dann bedeutet das in aller Regel, dass er oder sie bei einem Gesetzentwurf Änderungsbedarf sieht. Es geht also um den Inhalt des Entwurfs. Aber manchmal eben auch um die generelle Richtung. So wie jetzt bei Paus (unterstützt übrigens von Umweltministerin Steffi Lemke, ebenfalls von den Grünen).

Was offenbar nicht ganz gewöhnlich ist. Im Finanzministerium wird beklagt, dass die Familienministerin aus sachfremden Gründen ihren Vorbehalt eingelegt habe. Es habe von keinem Ministerium inhaltliche Einwände gegen den Gesetzentwurf gegeben, hieß es.

Aber da ein solcher Einspruch in der Geschäftsordnung nicht geregelt ist, wäre es auch kein Verstoß, wenn Paus sich „sachfremd“ – also unter Bezug auf ihre geplante Reform der Kindergrundsicherung – so verhalten hat. Abgesehen davon gab es sachliche Einwände der Grünen gegen den Entwurf aus dem Hause Lindner, denen der Finanzminister zum Teil auch entsprach. Möglicherweise aber nicht weit genug.

Den Leitungsvorbehalt legte Paus am vergangenen Freitag ein. Am Montag davor hatten sich Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Lindner zusammengesetzt, um eine Reihe von Vorhaben zu besprechen. Dabei hat der Finanzminister ein generelles „Okay“ für sein Wachstumschancengesetz bekommen.

Die Staatssekretäre mussten ran

Aber eine solche Runde bindet andere Ministerien nicht formal – eher liegt es dann an den daran Beteiligten, in ihren Parteien Unterstützung für solche Verabredungen zu erlangen, wenn man sie nicht vorab schon hatte.

Der Leitungsvorbehalt von Paus bedeutete, dass sich am Montag die übliche Staatssekretärsrunde unter Leitung des Kanzleramtschefs zur Vorbereitung des Kabinetts mit dem „Veto“ der Familienministerin zu befassen hatte. Ohne Ergebnis, denn wie es hieß, wurde am Dienstag weiterverhandelt. Wohl um Druck aufzubauen, hatte Lindner an diesem Montag in der Bundespressekonferenz für Mittwoch nach der Kabinettssitzung einen Termin gebucht, beidem er über den Beschluss zu dem Gesetz berichten wollte.

Scholz will das Gesetz in Meseberg verabschieden lassen

Da die Staatssekretäre sich nicht verständigen konnten, kam es am Mittwoch vor dem Kabinett zu einer in der Geschäftsordnung vorgesehenen Ministerbesprechung unter Vorsitz von Scholz, in der Lindner und Paus aber nicht zueinander fanden. Dazu muss man wissen, dass der Kanzler Anfang Juli einen Brief an die Ministerin geschrieben hatte, in dem er forderte, dass bis Ende August ein „geeinter Referentenentwurf“ zur Kindergrundsicherung vorliegen solle, damit „eine Kabinettsbefassung realisiert werden kann“.

Der Auftrag kann als eine moderate Form der Art Nutzung der Richtlinienkompetenz des Kanzlers verstanden werden. Allerdings ist die Forderung nicht nur für Paus maßgeblich, sondern auch für Lindner – Scholz will ja eine Einigung. Paus wiederum hat nun ihre Haltung zum Wachstumschancengesetz mit der Haltung des Finanzministers zur Reform der Kindergrundsicherung verbunden, ein Junktim, das weniger sachlich als politisch gedacht ist. Sie versucht so, Druck zu machen.

Am Ende hat sie sich vorerst durchgesetzt. Das Wachstumschancengesetz wurde am Mittwoch kurzfristig von der Tagesordnung des Kabinetts genommen. Es soll nun nach dem Wunsch des Kanzlers in Meseberg beschlossen werden. Aus dem Finanzministerium wurde allerdings eine Bedingung nachgeschoben: Es wird erwartet, dass es in der bisherigen Form kommt – oder auch erweitert, aber ohne Abstriche. Lindner beruft sich da auf die Unterstützung Habecks.

Zweierlei hätte auch passieren können. Zum einen wäre es grundsätzlich möglich gewesen, dass Scholz das Lindner-Gesetz am Mittwoch im Kabinett zur Abstimmung gestellt hätte. Eine Mehrheit der anwesenden Minister hätte genügt. Aber das wäre als offene Spaltung der Koalition wahrgenommen worden. Lindner hätte im Übrigen, wenn Paus eine Mehrheit bekommen hätte, als Finanzminister Widerspruch einlegen dürfen.

Möglich wäre es auch, einen solchen Konflikt in einem Koalitionsausschuss zu klären, unter Einbeziehung der Parteiführungen. Aber da die Grünen offenkundig gar nicht völlig eins sind beim Paus-Vorstoß, galt eine solche Runde wohl nicht als opportun.

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