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Politik: Union bremst Bahr aus

Gesundheitsminister wollte für Demenzkranke ursprünglich mehr ausgeben. Kritiker vermissen ein Gesamtkonzept für die Pflegereform.

Berlin - Gegen mehr Geld für Demenzkranke und ihre Angehörigen hat keiner etwas. Die Ankündigung, den Altersverwirrten im kommenden Jahr 655 Millionen Euro an direkten Leistungsverbesserungen zukommen zu lassen, stößt bei allen Beteiligten, nimmt man einmal die Arbeitgeberverbände aus, auf Zustimmung. Dass sich die Begeisterung für Daniel Bahrs „Vorgriff“ auf die beharrlich angekündigte große Reform dennoch in Grenzen hält, hängt mit dem Gesamtkonzept des Gesundheitsministers zusammen. Das nämlich ist aus der Sicht vieler aus der Branche und der Opposition zu dürftig oder bislang gar nicht zu erkennen.

Der Deutsche Pflegerat etwa, angeführt immerhin von einem CDU-Mann, erklärt die schwarz-gelbe Regierung diesbezüglich für gescheitert. Statt die Pflegeversicherung von Grund auf neu zu justieren, werde an einzelnen Stellschrauben gedreht und der Rest auf die lange Bank geschoben, sagt Präsident Andreas Westerfellhaus. Für die nötige Neudefinition von Pflegebedürftigkeit und den versprochenen Abschied von rein körperbezogener Versorgung reichten die 1,1 Milliarden Euro durch die Beitragserhöhung hinten und vorne nicht. „Wenn man es ernsthaft anpacken will, braucht es eine Summe von drei bis fünf Milliarden Euro.“ Eine Beitragserhöhung über die beschlossenen 0,1 Prozentpunkte hinaus aber ist für Bahr frühestens 2015 wieder ein Thema. Der FDP-Minister verteilt ein bisschen, die diffizile Finanzierung der Gesamtreform aber überlässt er der nächsten Regierung.

Das Expertengremium für den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff soll sich nach dem Plan des Ministers nun im Februar konstituieren. Bis dessen Ratschlüsse Gesetz werden, ziehen aber nicht Monate, sondern wohl Jahre ins Land. Selbst in Union und FDP schließen sie mittlerweile aus, dass es in dieser Legislaturperiode noch eine Umsetzung geben könnte. „Flickschusterei“, tönt es dem Minister folgerichtig entgegen. Dabei geht ein wenig unter, dass Bahr mit der Möglichkeit, bei Pflegediensten nicht mehr nur standardisierte Körperpflege, sondern auch Zeitkontingente nach individuellem Bedarf zu buchen, durchaus ans Grundsätzliche geht. Zudem wurde die starre Zuordnung zu drei Pflegestufen mit den gesonderten „Tarifen“ für Demenzkranke bereits durchbrochen. Eine Vorauszahlung, wenn man so will, auf den neuen Pflegebegriff.

Allerdings fragen sich viele, warum der Aufschlag für Altersverwirrte noch ein Jahr auf sich warten lassen soll. Dafür gebe es keinen Grund, sagt etwa der Chef des AOK-Bundesverbandes, Jürgen Graalmann. Bahrs Begründung lautet, dass das Geld dafür erst durch die Beitragserhöhung zum Jahreswechsel da ist. Tatsächlich hatte der Minister die Aufstockung schon für Mitte 2012 anvisiert, wurde aber offenbar von der Union gebremst.

Nach Tagesspiegel-Informationen hatte Bahr den Demenzkranken auch höhere Sätze zugestehen wollen. Die zusätzlichen Ausgaben pro Jahr sollten bis 2015 auf 1,8 Milliarden Euro anwachsen können, hieß es in einem Ministeriumsentwurf. Doch die Unionsexperten begrenzten das Ausgabevolumen rigide auf die erwarteten Einnahmen durch die Beitragserhöhung, die 2013 bei 1,1 Milliarden und 2015 bei etwa 1,4 Milliarden Euro liegen dürften. Einen Zugriff auf die Reserven der Versicherung, derzeit fünf Milliarden Euro, dürfe es nicht geben, forderten sie.

Um darzustellen, welche Dimension auch die abgespeckten Erhöhungen noch haben, bemüht Bahr nun den Vergleich zum Gesundheitssystem. Gerechnet auf die Gesamtausgaben würde ein vergleichbarer Zuwachs dort neun Milliarden Euro betragen, rechnet er vor – was ja wohl keiner als mickrig bezeichnen würde. Zudem dürfe man nicht vergessen, dass es sich bei der Pflege um eine Teilkaskoversicherung handle. Die Versorgung der ständig steigenden Zahl Bedürftiger sei ein gesellschaftliches Problem, das nicht auf Jahre „durch ein Gesetz gelöst“ werden könne. Wichtig sei vielmehr die Stoßrichtung der Reform: den Generationenzusammenhalt in Gesellschaft und Familie zu stärken.

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