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Politik: So viel Jugend ist selten

Von Sven Goldmann

Welche Leidenschaft, welche Schönheit! Nach ihrem finalen Spieltag blickt die FußballBundesliga zurück auf ein denkwürdiges Jahr. Es stand im Zeichen souveräner Bremer, die das ängstlich-aggressive Bellen aus München gelassen wegsteckten und Antworten dort gaben, wo es sich für einen Meister gehört, nämlich auf dem Platz. Trotz eines mäßig spannenden Saisonverlaufs kamen elf Millionen Zuschauer in die Stadien, die Sportschau bescherte der ARD im ersten Jahr nach ihrer Wiederbelebung Topquoten. Es herrscht ein Anflug von Aufbruchstimmung, und das drei Wochen vor der Europameisterschaft in Portugal. Warum sollte die Nationalmannschaft nicht profitieren von den Kräften, die das alte Machtgefüge der Bundesliga aufgebrochen haben? Wenn Werder Bremen den FC Bayern durcheinander wirbelt, kann Deutschland nicht dasselbe mit Frankreich tun, mit Italien oder England?

Wer nur lange genug sucht, der wird auch Argumente finden für eine spontane Renaissance des deutschen Fußballs. Es sind schwache Argumente. Natürlich hat Bremens furioses Spiel die Liga belebt, aber verantwortlich dafür war ausländisches Personal: der Brasilianer Ailton, die Franzosen Johan Micoud und Valerien Ismael. Der beste deutsche Bremer heißt Fabian Ernst und sitzt in der Nationalmannschaft bestenfalls auf der Ersatzbank.

Nicht die virtuosen Bremer stehen für Deutschland, sondern die gedemütigten Bayern mit ihren Hauptdarstellern Oliver Kahn und Michael Ballack. Auch Hertha BSC hat schon bessere Spielzeiten erlebt als die heute zu Ende gehende, in der den deutschen Nationalspielern Fredi Bobic, Marko Rehmer und Arne Friedrich die Führung anvertraut worden war.

Die Enttäuschungen in München und Berlin stehen für den Stellenwert und die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesliga. Im internationalen Vergleich haben die deutschen Klubs in diesem Jahr so schlecht abgeschnitten wie lange nicht. Die Weltstars spielen nicht in München oder Bremen, sondern in England, Spanien oder Italien. Dort wird nicht nur besseres Geld gezahlt, sondern auch besserer Fußball gespielt. Der Torhüter Jens Lehmann ist vor einem Jahr aus Dortmund zum FC Arsenal nach London gewechselt, und den Unterschied zwischen der Bundesliga und der englischen Premier League empfindet er wie den zwischen D-Zug und ICE. Lehmann ist einer von nur noch zwei Nationalspielern, die ihr Geld im Ausland verdienen. Deutsche Fußballkunst wird im Ausland nicht mehr als Wertarbeit angesehen.

Das spricht natürlich gegen die Bundesliga, kann aber ihre große Chance sein. Wo finanzielle und sportliche Zwänge Bescheidenheit verlangen, sind kreative Lösungen gefragt. Wer sich keine teuren Stars leisten kann, muss dem eigenen Nachwuchs vertrauen. Das ist der Bundesliga gut bekommen, sie hat sich mit bemerkenswertem Erfolg zu einer Ausbildungsliga entwickelt. Spieler wie Bastian Schweinsteiger, Lukas Podolski, Tim Wiese, Thomas Broich oder Benjamin Lauth sind in jungen Jahren zu spielbestimmenden Größen gereift. So viel Jugend war selten in den Schaltzentralen der Bundesligaklubs. Diese aus der Not geborene Verjüngung garantiert keine bessere Zukunft per se, aber sie verheißt Hoffnung. Deutschlands Zukunft spielt nicht in diesem Sommer bei der Europameisterschaft in Portugal, sondern in zwei Jahren bei der Weltmeisterschaft in Deutschland. Es gibt schlechtere Perspektiven.

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