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Hat die Downing Str. Nummer 10 fest im Blick: Innenminister Sajid Javid.

© Tolga Akmen/AFP

Großbritannien: Schaulaufen der Torys um May-Nachfolge

Ob Hunt, Javid oder Johnson: Mit nationalistischer Rhetorik positionieren sich prominente britische Konservative.

In dieser Woche debattiert das britische Unterhaus wieder über den EU-Austrittsvertrag – und zunächst wirkt die Ausgangslage unverändert. Wie im Advent steuert die Regierung von Premierministerin Theresa May Mitte des Monats auf eine saftige Abstimmungsniederlage zu: Den Brexit-Ultras der eigenen Fraktion ist Großbritanniens zukünftige Position zur Brüsseler Gemeinschaft viel zu nah, den Brexit-Gegnern der Opposition nicht nah genug.

Vergangenen Monat hatte die Regierungschefin die Abstimmung kurzfristig abgesagt und damit den Zorn aller Seiten auf sich gezogen. Um die anschließende Vertrauensabstimmung in der Fraktion zu überstehen, erklärte sich die 62-Jährige zur Parteichefin auf Abruf: Sie werde die Torys nicht in die nächste Unterhauswahl führen. Diese ist zwar nominell erst 2022 fällig; bei den Buchmachern kann aber viel Geld gewinnen, wer auf eine Fortsetzung von Mays Amtszeit über das Kalenderjahr hinaus setzt.

Die Nachfolge-Kandidaten haben schon ihre Kampagnen begonnen

Und so haben die Nachfolge-Kandidaten schon ihre Kampagnen begonnen. Ab jetzt sollte man Äußerungen der Kabinettsmitglieder und anderer prominenter Torys noch genauer als sonst danach beurteilen, welche Ambitionen sie hegen. Hatte etwa Außenminister Jeremy Hunt wirklich eine grundlegende Neuordnung britischer Außenpolitik im Sinn, als er beim Asien-Besuch über Neujahr den Ein-Parteien-Staat Singapur lobte?

Großbritanniens Rolle nach dem Brexit beschrieb er so: Das Königreich könne „unsichtbares Verbindungsglied zwischen den Demokratien weltweit“ werden. Warum das bisher als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates relativ sichtbare Land gleichzeitig die Verbindung zur EU abbrechen will, hatte der Sohn eines Admirals auf dem Parteitag im Oktober begründet: Da verglich er die EU mit der Sowjetunion.

Für Hunt, 52, wie für den Innenminister Sajid Javid scheint beinahe jedes rhetorische Mittel Recht, um einen schweren Nachteil im Kampf um den Parteivorsitz zu überwinden: Beide stimmten beim Referendum für den Verbleib, sind also in den Augen der überwiegend EU-feindlichen Tory-Anhänger suspekt. Dem Statut zufolge küren die rund 125.000 Mitglieder ihren neuen Chef aus zwei Kandidaten, die zuvor die Parlamentsfraktion ausgesucht hat.

Migrantensohn Javid urteilt hart über Flüchtlinge

Javid brach Ende Dezember den Weihnachtsurlaub ab, um am Ärmelkanal die angebliche Flüchtlingskrise zu besichtigen: Dort sind in den vergangenen Wochen etwa 250 Menschen in Schlauchbooten von Frankreich übergesetzt. Das seien „gar keine richtigen Asylbewerber“, behauptete der Migrantensohn Javid – harte Sprüche, notfalls auch jenseits der Legalität, kommen bei Konservativen gut an, so sein Kalkül.

Der 49-Jährige wäre der erste Angehörige einer ethnischen Minderheit als Vorsitzender einer großen britischen Partei. Zudem macht ihn seine Geschichte – Sohn eines bettelarmen Busfahrers aus Pakistan, der sich zum Geschäftsmann hochdiente – attraktiv für eine Partei, die gern den sozialen Aufstieg durch harte Arbeit propagiert.

Ganz ungeniert sprechen Javids Gefolgsleute davon, man müsse „das Monopol“ der weißen Privatschüler brechen, die auf den Elite-Unis von Oxford und Cambridge ihre Netzwerke pflegten – der Seitenhieb richtet sich gegen Hunt ebenso wie gegen Brexit-Vormann Boris Johnson oder die Sozialministerin Amber Rudd.

Keiner kann Johnson das Wasser reichen

Umgekehrt gehen auch die Parteifeinde nicht zimperlich um mit dem Innenminister: Kabinettskollegen berichteten dem Boulevardblatt „The Sun“, dieser spreche neuerdings über sich gern in der dritten Person als „The Sajid“.

Aber keiner kann Boris Johnson das Wasser reichen. Er darf auch heute wieder die überwiegend konservative Leserschaft des „Daily Telegraph“ mit einem rhetorischen Feuerwerk unterhalten. Viele dürften dem Ex-Außenminister zustimmen, wenn er, wie zu Weihnachten im Magazin „Spectator“, die Regierung für ihre „Trägheit“ tadelt und warnt: „Wir sind dabei, tausend Jahre Selbstbestimmung aufzugeben.“

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