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Aus für Premier Plamen Orescharski, hier bei seinem Rücktritt am Donnerstag

© AFP

Bulgarien: Regierung nach nur 420 Tagen zurückgetreten

Nach der kürzesten Amtszeit seit Ende des Kommunismus ist Bulgariens Koalition zerbrochen. Regieren konnte sie ohnehin praktisch nicht - ein Patt im Parlament blockierte jede Initiative.

Mehr als ein Jahr lang zogen die Demonstranten allabendlich an Ministerrat und Parlament vorbei und riefen „Ostavka, Ostavka!“ (Rücktritt, Rücktritt!). Am Mittwochabend konnten sie ihren Schlachtruf nun ändern in „Pobeda, Pobeda!“ (Sieg, Sieg!). Eine Minute vor 18 Uhr hatte Bulgariens Ministerpräsident Plamen Orescharski den Rücktritt seines Kabinetts erklärt, die 42. Bulgarische Volksversammlung hat ihn am Donnerstagvormittag mit großer Mehrheit angenommen.

Nicht der Volkszorn entschied, sondern der Bruch der Koalition

Mit 420 Tagen hatte Amtszeit seit dem Sturz des kommunistischen Regimes im Herbst 1989 absolviert. Seit der Ernennung des Abgeordneten und Medien-Oligarchen Deljan Peevski zum obersten Geheimdienstchef des Landes am 14. Juni 2013 stand seine Minderheitsregierung aus Vertretern der „Bulgarischen Sozialistischen Partei“ (BSP) und der Partei der bulgarischen Türken „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS) ganz im Zeichen des Protests. Letzlich aber erwirkte nicht der Volkszorn Orescharskis Sturz und die Auflösung des Parlaments, sondern das politische Kalkül von DPS-Chef Ljutvi Mestan.

Vorgänger will allein regieren oder gar nicht

„Die politische Lebensfähigkeit dieses Kabinetts ist erschöpft“, stellte Mestan nach der Wahl zum Europäischen Parlament fest, bei der seine Partei fast genauso viele Stimmen errungen hatte wie die Koalitionspartnerin BSP. Einige Sozialisten unterstellten dem DPS-Chef darauf, er spekuliere auf bessere Aussichten seiner Partei als Bündnispartnerin der rechtsgerichteten Partei „Für eine europäische Entwicklung Bulgariens“ (GERB). Die Partei von Ex-Ministerpräsident Boiko Borissov hat sich in allen Wahlen der vergangenen Jahre als stärkste politische Kraft behauptet, bei der letzten Parlamentswahl aber als koalitionsunfähig erwiesen. „Ich werde nur regieren, wenn GERB die absolute Mehrheit bekommt, ansonsten sollen halt wieder BSP und DPS das Land führen“, behauptet aber Borissov.

Die neueste Partei finanziert ein Bankenchef

Politisch war das vergangene Jahr für Bulgarien ein verlorenes. Die faktische Pattsituation zwischen den im Parlament vertretenen Parteien GERB, BSP, DPS und der nationalistischen Ataka machte Reforminitiativen etwa für das Gesundheitswesen, die Bildung oder die Staatsverwaltung unmöglich. Parlamentssitzungen fielen wegen mangelnder Beteiligung oft aus.
Ob sich die politische Stagnation durch die für den 5. Oktober 2014 angesetzten Parlamentswahlen auflösen lässt, scheint ungewiss. Aktuellen Meinungsumfragen zufolge dürfte GERB erneut stärkste politische Kraft vor BSP und DPS werden. Ataka könnte wie schon bei der Europawahl den Einzug ins Parlament verfehlen und durch die Partei des früheren TV-Moderators Nikolai Barekov „Bulgarien ohne Zensur“ (BBZ) ersetzt werden. Die BBZ finanzier der Chef der in Schieflage geratenen Korporativna Targovska Banka (KTB) Tsvetan Vassilev; sie gilt als Projekt der „politischen Ingenieurskunst“ zur Verfolgung von Machtinteressen.

Auch finanziell ist Bulgarien instabil

So lässt das von den Meinungsforschern prognostizierte Szenariao keinen demokratischen Frühling für Bulgariens Parlamentarismus erwarten. Die Bankenkrise mit dem Ansturm verunsicherter Kunden auf die KTB und ein weiteres Kreditinistitut im Juni hat gezeigt, wie brüchig Bulgariens in den vergangenen Jahren stets gelobte Finanzstabilität ist. Sie ist nun eines von vielen fundamentalen Problemen des Balkanlands, zu deren Lösung es einer handlungsfähigen Regierung bedürfte.

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