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Politik: Rechtsextremismus: Östliche Looser, westliche Logistik (Gastkommentar)

Eine Welle der Empörung geht durch das Land - immer noch. Härteres Vorgehen der Politik, stärkeres Durchgreifen der Justiz und mehr zivilgesellschaftliches Engagement werden gefordert.

Eine Welle der Empörung geht durch das Land - immer noch. Härteres Vorgehen der Politik, stärkeres Durchgreifen der Justiz und mehr zivilgesellschaftliches Engagement werden gefordert. Man kann eine Wette darauf eingehen, dass mit dem Ende des Sommers, einem nur leichten Rückgang der gegenwärtigen Gewalt und neuen Themen ein Großteil der jetzt "Empörten" zur Tagesordnung übergeht. Woran fehlt es in Staat und Gesellschaft angesichts der wirklich fundamentalen Bedrohung durch den neonazistischen Mob, durch dumpfbraune Unterstützermentalität und die intellektuellen Feinde der Demokratie?

Es fehlt schon am Mut zu einer schonungslosen Zustandsbeschreibung, wie sie Peter Schneider jüngst in der "Zeit" forderte. Ein erster Befund: Der Boden für Fremdenhass und rechte Gewalt, für Volksgemeinschaftsparolen und Kameradschaftsgeist ist in den neuen Bundesländern weit besser bereitet als in den alten, die Abwehrkräfte einer zivilen Gesellschaft sind weit schwächer. Diese Erkenntnis kann den Westen nicht entlasten. Von dort kamen und kommen oft genug die Aktivisten, die Logistik und die ideologischen Versatzstücke rechtsradikaler und rechtsextremer Bestrebungen.

Dennoch - mit überwiegend autoritärer Sozialisation in einem diktatorischen System, einem ideologisch begründeten Antifaschismus, der die alltäglich-gesellschaftlichen Wurzeln von Führertreue und Antisemitismus in Nazi-Deutschland ausblendete und den Holocaust beiseite schob, mit einem Kontrollstaat, der das freie Zusammenleben mit Fremden nicht ermöglichte oder auch nur duldete, wurde die DDR zur Generationenschmiede neuer Untertanen und Nischenflüchter. Ausstieg und Rebellion dagegen waren mit einem hohen Preis zu bezahlen und blieben die Ausnahme.

Die Folgen des Vereinigungsschocks und der Vereinigungslasten kommen hinzu. Es ist zwar falsch, einen direkten Zusammenhang zwischen sozialer Ausgrenzung, Perspektivlosigkeit und Gewaltbereitschaft herzustellen oder gar das eine mit dem anderen zu entschuldigen. Aber eine Gesellschaft, die zunehmend mehr soziale Verlierer produziert und akzeptiert, muss sich doch fragen lassen, woher in einem solchen Klima die aktiven und unerschrockenen Bürger für eine zivile Gesellschaft kommen sollen. Ganz abgesehen davon, dass die Modernisierungsgewinner die unangenehmen Aufgaben lieber an den Staat delegieren und sich in die Wohlstandsgettos flüchten.

Zur Bestandsaufnahme gehört auch, dass Initiativen gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt vor Ort oft jede Unterstützung fehlt, dass sie von Kommunalpolitikern, die die Situation weiter schönreden, ausgegrenzt werden. Und was ist mit den Tausenden von Lehrern, die sich diesen Fragen stellen müssten, den Angehörigen des öffentlichen Dienstes, den Honoratioren und Eliten?

Man kennt das Ping-pong-Spiel der Schuldzuweisung: von der Politik, die nicht handelt, und der Gesellschaft, die nicht reagiert. Die Geschichte von dem (nicht namentlich genannten) Innenminister aus den neuen Bundesländern, der beim Anblick einer Gruppe von Glatzen selbst die Straße wechselt, ist alarmierend. Eines geht nicht mehr: die notwendige staatliche Härte gegenüber Tätern und die gesellschaftliche Abwehr gegeneinander auszuspielen.

Harte Sanktionen gegen Gewalttäter zu verhängen und durchzuhalten, ein Verbot der NPD durchzusetzen, deren verfassungsfeindlicher Charakter offen zu Tage liegt, und als wichtigsten Teil der Aufgabe, den demokratischen Kräften der Gesellschaft den Rücken stärken - all das gehört zusammen.

Wolfgang Templin

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