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Martin Schulz ist Vorsitzender der sozialdemokratischen Fraktion im Europaparlament. Er kandidiert für das Amt des Parlamentspräsidenten, das Ende des Jahres neu vergeben wird.

© picture-alliance / dpa

Martin Schulz im Interview: „Man muss den Griechen die nötige Zeit geben“

Der EU-Politiker Martin Schulz äußert sich im Gespräch mit Albrecht Meier über Staatsschulden, das Griechenlandhilfspaket und die SPD.

Wird Griechenland irgendwann der Schuldenfalle entkommen?

Ich glaube, dass das möglich ist. Es hängt davon ab, ob man den Griechen faire Konditionen gibt.

In Deutschland legen einige Politiker den Griechen einen Austritt aus der Euro-Zone nahe. Zu Recht?

Die gesamten Anstrengungen in Athen im Verlauf der vergangenen Monate sind nicht unternommen worden, damit Griechenland jetzt die Euro-Zone verlässt. Im Gegenteil: Griechenland soll im Euro bleiben können. Das Ziel muss sein, den Euro-Raum als Ganzes zu stabilisieren. Diese ganze Debatte um eine Fragmentierung der Euro-Zone hilft nur den Spekulanten.

Die EU-Troika, die die Bücher in Athen prüfen soll, ist offenbar mit den Fortschritten in Griechenland nicht zufrieden. Die Troika will erst wieder Mitte September ihre Arbeit in Athen aufnehmen.

Man muss nicht bei jeder Verzögerung von ein paar Tagen sofort wieder in Krisengeschrei ausbrechen. Der griechische Außenminister Stavros Lambrinidis hat mir zugesichert, dass das Problem zwischen der EU-Troika und Athen in den nächsten Tagen gelöst wird – und ich glaube ihm. Es ist ein einziger Punkt zwischen der Troika und Griechenland offen. Dabei geht es um fehlende Privatisierungserlöse. Griechenland muss in jeder Hinsicht sanieren und sicher auch Staatsbesitz privatisieren. Aber man muss dabei auch fair mit den Griechen umgehen und ihnen die nötige Zeit geben.

Allerdings könnte der Widerwille einiger Bundestagsabgeordneter noch zunehmen, die dem neuen 109-Milliarden-Rettungspaket für Athen noch zustimmen müssen.

Ich teile zunächst einmal die Auffassung des Bundesfinanzministers, wonach Griechenland die nächste Tranche aus dem ersten Rettungspaket nur dann bekommen kann, wenn alle Konditionen erfüllt sind. Wenn die Bedingungen aber erfüllt sind, müssen die gegebenen Zusagen eingehalten werden. Zweitens: Ich habe Verständnis für die Kollegen des Bundestages, die die parlamentarische Kontrolle über solch große Summen behalten wollen. Im Umkehrschluss erwarte ich von den Kollegen aber auch, dass sie dem Europaparlament das volle Kontrollrecht in dem Moment überlassen, sobald Gelder aus dem Rettungsfonds bei den europäischen Institutionen angekommen sind und von diesen verwendet werden.

Wird für Kanzlerin Angela Merkel die Zustimmung des Bundestages in der Schuldenkrise zur Schicksalsfrage?

Ich stelle fest, dass die Koalitionsfraktionen weniger Vertrauen in die Regierung haben als derzeit die Opposition. Das sagt auch eine Menge über die Regierung aus.

Was bedeutet es, wenn die SPD die Kanzlerin im Bundestag diesmal unterstützt?

Das SPD ist traditionell eine pro-europäische Partei. Angesichts der bevorstehenden Abstimmungen im Bundestag haben wir eine sehr sorgfältige Abwägung vorgenommen. Wir haben uns die Frage gestellt: Was ist eigentlich das größere Risiko für Deutschland – die bereitgestellten Garantien für den Euro-Rettungsschirm EFSF oder das Auseinanderbrechen der Euro-Zone? Wenn die D-Mark wieder eingeführt würde, wäre der Aufwertungsdruck für Deutschland ein derart unkalkulierbares Risiko, dass es ein Akt der Vernunft ist, den Euro zu stabilisieren. Deshalb hat die SPD diesen Kurs eingeschlagen.

Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wollen eine EU-Wirtschaftsregierung. Sie auch?

Nicht in der Form, in der Merkel und Sarkozy sie den Leuten verkaufen wollen, nämlich in der Form von zwei zusätzlichen Treffen der Staats- und Regierungschefs pro Jahr. Das ist ja nicht praktikabel. Wir haben eine EU-Wirtschaftsregierung, das ist die EU-Kommission. Alle exekutiven Maßnahmen im Rahmen des gültigen EU-Vertrages oder eines geänderten Vertrages sollten der Kommission übertragen werden. Nur so lässt sich eine parlamentarische Kontrolle einer solchen Wirtschaftsregierung durch das EU-Parlament sicherstellen.

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