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Bundesfinanzminister Christian Lindner.

© Reuters/Lukas Barth

Höhere Zinsen, höhere Lasten?: Wie Christian Lindner den Etatstreit der Ampel dämpfen könnte

Der Finanzminister warnt zu Recht vor immer höheren Zinsausgaben. Aber er hat es auch in der Hand, das Problem zu verringern – durch einen ganz einfachen Schritt.

Mehr Spielräume jetzt – oder mehr Spielräume in der Zukunft? Die Ampel steht vor einer milliardenschweren Grundsatzfrage in der Schuldenpolitik, die bisher aber kaum thematisiert wird. Dabei ist sie angesichts des heftigen Streits um die Aufstellung des Etats für 2024 durchaus relevant.

Denn den 70 Milliarden Euro an Mehrforderungen aus den Einzelressorts hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) zuletzt immer wieder ein schlagkräftiges Abwehrargument entgegengehalten: die rapide wachsende Zinslast durch die wieder teurer werdende Staatsverschuldung.

Waren es 2021 noch etwa vier Milliarden Euro, sind es im laufenden Haushalt schon 42 Milliarden, die im Posten Zinsausgaben stehen. Im Etat für 2024 könnten es noch mehr sein. Das hat mehrere Gründe, der wichtigste aber hat gar nicht mit echten Zinsausgaben zu tun - sondern mit einem finanztechnischen Phänomen namens „Disagio“. Das bedeutet Kursabschlag. Allein dadurch hat sich die Zinslast im Etat für 2023 um mehr als 15 Milliarden Euro erhöht. Der wichtigste Grund dafür versteckt sich hinter einem finanztechnischen Begriff – dem „Disagio“. Das bedeutet Kursabschlag. Allein durch dieses Phänomen erhöhte sich die Zinslast im Etat für 2023 nochmals um 7,2 Milliarden Euro.

Der Staat hat bei seinen Anleihen zwei Möglichkeiten, sie an die Investoren zu bringen. Entweder er begibt neue Anleihen zu einem festen Preis mit einem bestimmten Zinssatz. Oder er stockt schon laufende Anleihen nochmals auf, wobei dann meist Auf- oder Abschläge auf den Ausgabekurs fällig werden. Der Grund: Die Lage beim Zins hat sich im Vergleich zur Erstausgabe der Anleihe verändert, worauf die Finanzagentur des Bundes, welche die Anleihen ausgibt, Rücksicht nehmen muss.

In der Niedrigzinsphase konnte der Bund ältere Anleihen, die mehr Zins boten, regelmäßig mit einem einem Kursaufschlag („Agio“) an den Märkten platzieren. Lindners Vorgänger – Wolfgang Schäuble (CDU) und vor allem Olaf Scholz (SPD) – machten damit ein gutes Geschäft. Sie verbuchten das eingenommene Geld dann auch stets auf einen Schlag im Etat des jeweiligen Jahres. In der Spitze waren es 2021 mehr als zwölf Milliarden Euro. Das half, die Politik der „schwarzen Null“ umzusetzen.

Steigende Zinserwartungen

Doch die Niedrigzinsphase ist vorbei. Die Zinserwartungen der Investoren wachsen nun mit der Inflation immer mehr. Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen (das hauptsächliche Schuldeninstrument) liegt aktuell schon bei mehr 2,64 Prozent. Vor drei Jahren waren es noch minus 0,6 Prozent.

Bei anderen Anleiheformen liegen die Zinserwartungen noch höher. Zuletzt musste die Finanzagentur bei der Aufstockung einer Bundesschatzanweisung, die im Januar mit einem Zinskupon von 2,5 Prozent erstmals ausgegeben wurde, einen Kursabschlag akzeptieren. Die Investoren langten erst bei einem Kurs zu, der ihnen eine Rendite von 3,14 Prozent bot. Das zeigt, wie massiv die Zinswende schon wirkt. Mittelfristig könnte dies das Niveau sein, mit dem Lindner und die Koalition beim Zins kalkulieren müssen. Möglicherweise steigt es auch noch deutlich höher.

Kursabschläge müssen nicht sein

Insofern sind die Warnungen des Finanzministers vor wachsenden Zinslasten im Etat keine hohlen Worte. Allerdings hätte es Lindner durchaus in der Hand, zumindest etwas Milderung einkehren zu lassen – was dann auch den Etatstreit dämpfen könnte. Denn er ist weder gezwungen, bei Anleihen mit Kursabschlägen zu arbeiten. Noch muss er ein Disagio auf einen Schlag im Etat verbuchen, wie das Schäuble und Scholz beim Agio gemacht hatten.

Er steht hier vor einer Abwägung. Der Vorteil der Disagio-Strategie ist es, dass die niedrigen Zinssätze der älteren Anleihen die Zinslast in künftigen Etats dämpfen. Der Nachteil: In den laufenden Etats haut das eben richtig rein bei den Zinsausgaben. Bisher ist nicht erkennbar, dass das Finanzministerium seine Anleihenpolitik ändert.

Doch könnte Lindner dazu übergehen, vermehrt mit Neuemissionen zu arbeiten. Die müssen dann zwar mit einem höheren Zins am Markt angeboten werden, doch das Klumpenrisiko der Aufstockung mit einem Kursabschlag wäre vermieden. Die Zinszahlungen würden sich über die Laufzeit der jeweiligen Anleihen auf die einzelnen Jahresetats verteilen. Aber das wäre eine völlige Kehrtwende in der Anleihenpolitik. Nach der Emissionsplanung der Finanzagentur für 2023 sind nur 21 Neuemissionen vorgesehen, aber 135 Aufstockungen.

Ein Wechsel in der Emissionsstrategie wäre ein noch größeres Risiko für den Bund.

Peter Barkow, Finanzanalyst

Der Düsseldorfer Finanzanalyst Peter Barkow verfolgt die Sache schon seit Jahren und hat das Disagio-Problem früh kommen sehen. „Durch den raschen Wechsel von Agio auf Disagio bei den Bundespapieren ist für den Bund ein gravierendes Problem entstanden“, sagte er dem Tagesspiegel.

Doch fügte er hinzu: „Ein Wechsel in der Emissionsstrategie wäre ein noch größeres Risiko für den Bund.“ Der habe den Ruf, einer der verlässlichsten Emittenten am Markt für Staatsanleihen zu sein. „Eine Kursänderung könnte Investoren verunsichern, die dann einen etwas höheren Zins verlangen könnten. Das wiederum würde die Zinslast im Bundesetat für eine lange Zeit erhöhen“, sagte Barkow.

Seine Empfehlung: „Insofern wäre es wohl besser, weiterhin in starkem Maß Kursabschläge bei den Emissionen in Kauf zu nehmen. Die entsprechenden Disagien sollten dann aber kaufmännisch sauber über die ganze Laufzeit einer Anleihe im Etat verteilt werden und nicht auf einen Schlag, wie das jetzt der Fall ist.“ Noch besser wäre es seiner Ansicht nach gewesen, wenn man dies auch für die erheblichen Erträge aus der Vergangenheit getan hätte.

Barkow liegt auf einer Linie mit der Bundesbank und dem Wissenschaftlichen Beirat des Finanzministeriums. Dieser hatte schon in einem Gutachten im Jahr 2021, als Scholz noch das Ministerium leitete, eine andere Buchungspraxis gefordert. Die Ökonomen hatten damals schon auf die Konstellation aufmerksam gemacht, vor der die Ampel nun steht. Sie schrieben: „Sollte es wegen steigender Zinsen zu hohen Disagien kommen, wirken diese wie kurzfristige Mehrausgaben, die anderswo im Haushalt eingespart werden müssen.“

Lindner könnte also im Etat 2024 die Buchungspraxis ändern und die Belastung durch die Kursabschläge auf Jahre hinaus verteilen. Dann gäbe es 2024 und in den Jahren danach mehr finanziellen Spielraum für andere Projekte. Einige Milliarden Euro könnten dann etwa für Kindergrundsicherung, Bildung oder auch die Bundeswehr verplant werden - statt für die keineswegs zwingende einmalige Verbuchung von Kursabschlägen bei Anleihen. Sicher ist aber auch: Die Zinslast des Bundes wird in den kommenden Jahren in jedem Fall wachsen.

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