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Politik: Hinter den Linden: Böser Blick

Diebisch gefreut hatten sich die Schweizer nach der Wiedervereinigung, dass sie ihr Botschaftsgebäude am Spreebogen nie geräumt, sondern die Stellung gehalten hatten. So sind sie mitten drin in der deutschen Politik, auf der einen Seite den Bundestag, auf der anderen den Bundeskanzler.

Diebisch gefreut hatten sich die Schweizer nach der Wiedervereinigung, dass sie ihr Botschaftsgebäude am Spreebogen nie geräumt, sondern die Stellung gehalten hatten. So sind sie mitten drin in der deutschen Politik, auf der einen Seite den Bundestag, auf der anderen den Bundeskanzler. Solchermaßen auf dem Präsentierteller zu sitzen, kann sich freilich auch als nachteilig erweisen. Botschafter Thomas Borer jedenfalls muss sich jetzt mit dem schweizerischen Boulevardblatt "Sonntagsblick" herumärgern - dem nämlich wurde, sorgfältig protokolliert, zugespielt, was der Diplomat prompt als "unwahr" bezeichnet: Die Überwachungskameras des Kanzleramtes hätten einen verfänglichen nächtlichen Damenbesuch in der Botschaft eingefangen.

Nun ist die "BZ am Sonntag" im Vergleich zum "Sonntagsblick" ein bildungsbürgerliches Blatt, und die Schweizer Redakteure haben den unkonventionellen Thomas Borer schon lange als Intimfeind eidgenössischer Seriosität im Visier. Bislang ging es nur um eher harmlose, modisch-exzentrische Eskapaden im Zusammenhang mit Borers Frau, Shawne Fielding. Das Paar passte eben so gar nicht in das Bild der Schweiz zwischen Fränkli, Swissair und Alpenglühen. Nachdem von dieser Dreieinigkeit der Werte nur zwei geblieben sind, und die Schweiz, was Vergnügungslust betrifft, so ohne nicht ist, sollte der "Blick" seinen Blick auf dem Botschafter eher mit Wohlgefallen, als mit Häme ruhen lassen: Die Schweizer Geschichte der vergangenen Jahrzehnte hat durchaus unangenehmere und weniger vergnügliche Passagen als einen Botschafter, dem man ein nächtliches Rendez-vous zutrauen darf...

Gerd Appenzeller

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