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Karamanlis

© ddp

Türkei: Diplomatisches Kunststück

Zeichen der Entspannung: Der griechische Regierungschef Karamanlis besucht die Türkei - es wird der erste offizielle Besuch eines griechischen Premiers in Ankara seit 49 Jahren.

Was wird er ins Gästebuch schreiben? Wird er überhaupt etwas schreiben? Wenn der griechische Ministerpräsidenten Kostas Karamanlis an diesem Mittwoch zu einem historischen Besuch in die türkische Hauptstadt Ankara kommt, wird jedes Detail hohe politische Bedeutung bekommen. Das gilt nicht nur für seine Gespräche mit türkischen Spitzenpolitikern, sondern auch für die Frage, wie sich Karamanlis bei dem obligatorischen Besuch des Atatürk-Mausoleums in Ankara verhalten wird. Während die türkischen Gastgeber erwarten, dass er ihrem Staatsgründer seine Reverenz erweist, stellte die rechtsgerichtete griechische Partei Laos die Frage, was der griechische Premier überhaupt in Ankara verloren hat.

Karamanlis hat seinen türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan zwar schon häufiger in der Türkei getroffen, unter anderem als Trauzeuge bei der Hochzeit der Erdogan-Tochter Esra und beim Nato-Gipfel vor vier Jahren in Istanbul. Doch der letzte offizielle Besuch eines griechischen Ministerpräsidenten in Ankara liegt fast ein halbes Jahrhundert zurück: 1959 kam der Onkel des heutigen Regierungschefs, Konstantin Karamanlis, in die türkische Hauptstadt.

Diese lange Unterbrechung und das tief sitzende Misstrauen zwischen Griechen und Türken machen die Visite von Karamanlis so bedeutsam. Seit etwa zehn Jahren bemühen sich die Nachbarn um eine vorsichtige Annäherung, an der beide Seiten ein starkes Interesse haben. Die Türkei braucht die griechische Unterstützung für ihre EU-Bewerbung, und Griechenland mit seinen nur elf Millionen Menschen will ein stabiles Verhältnis zu seinem fast siebenmal größeren Nachbarn, unter anderem um ein teures Wettrüsten zu vermeiden.

Mit konkreten Schritten und vertrauensbildenden Maßnahmen wie der Zusammenarbeit in der Energiepolitik sicherten Griechen und Türken ihre Aussöhnungspolitik in den vergangenen Jahren ab. Erst im November weihten Karamanlis und Erdogan, die persönlich gut miteinander auskommen, eine griechisch-türkische Gaspipeline ein.

Den historischen Ballast ihrer langen Feindschaft haben beide Länder aber längst noch nicht abgeworfen. Viele Türken haben die Griechen bis heute im Verdacht, nach türkischem Gebiet zu trachten. Griechische Soldaten besetzten nach dem Ersten Weltkrieg große Teile Kleinasiens und wurden von türkischen Truppen unter Atatürk wieder zurückgedrängt. Anti-griechische Pogrome in Istanbul in den fünfziger Jahren und die türkische Militärintervention in Zypern 1974 verfestigten wiederum in Griechenland das ohnehin bestehende Misstrauen gegenüber den Türken.

Für die Diplomaten beider Länder war es deshalb nicht einfach, den Karamanlis- Besuch vorzubereiten. Bereits vor zwei Jahren sagte der Premier eine geplante Visite kurzfristig wieder ab. Der Anlass: ein Grundsatzpapier des türkischen Sicherheitsrates, in dem die Türkei den Griechen wegen ungeklärter Gebietsfragen in der Ägäis mit Krieg droht.

Das Papier ist bis heute in Kraft, und der Streit um den Grenzverlauf in der Ägäis sorgt nach wie vor für Spannungen. Griechische Schnellboote seien in der Gegend um die unbewohnte Felseninsel Kardak (griechisch: Imia) aufgetaucht, teilte die türkische Armee erst am Wochenende mit. Vor fast genau zwölf Jahren, im Januar 1996, wären Türken und Griechen wegen des Streits um Kardak/Imia beinahe in einen Krieg geschlittert.

Zwar redet heute niemand mehr von Krieg. Doch von einer vollkommenen Entspannung zwischen den Nachbarn kann ebenfalls keine Rede sein. Noch immer erregt Erdogan in der Türkei Aufmerksamkeit, wenn er den griechischen Premier so nennt, wie das eigentlich selbstverständlich sein sollte: einen „werten Freund“.

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