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Kanzlerin beim Langlauf gestürzt: Das sind die Folgen von Merkels Ski-Unfall

Beim Skilanglauf hat sich Angela Merkel das Becken angebrochen. Einige Termine musste sie nun absagen – aber die Regierungsgeschäfte will sie trotzdem weiterführen. Wie schwerwiegend ist der Unfall?

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Während ihrer Weihnachtsferien im Engadin ist Angela Merkel beim Skilanglauf gestürzt. Zunächst glaubte sie an eine Prellung. Inzwischen steht fest, dass sie einen „unvollständigen Bruch im linken hinteren Beckenring“ erlitten hat, wie Regierungssprecher Steffen Seibert erklärte. Die Empfehlung der Ärzte lautet: Die 59-Jährige soll drei Wochen lang viel liegen. Den Großteil ihrer Arbeit will die Kanzlerin von ihrer Berliner Wohnung am Kupfergraben aus erledigen.

Wie gravierend ist die Diagnose?

Ein unvollständiger Bruch, von Medizinern als Infraktion bezeichnet, ist die mildeste Variante von Brüchen im Bereich des Beckengürtels, eines geschlossenen Rings, der von Schambein, Darmbein, Sitzbein und Kreuzbein gebildet wird. Die Knochen sind in diesem Fall nicht durch-, sondern nur angebrochen. Die schlimmste, glücklicherweise seltene Variante von Beckenbrüchen sind instabile Brüche, die die Knochen verschiebbar machen und meist operiert werden müssen und die im Einzelfall auch mit Verletzungen innerer Organe einher gehen. Ob es nach einem Sturz zu einem Bruch des Beckenrings gekommen ist, zeigt ein Röntgenbild.

„Unvollständige Brüche im Bereich des Beckenrings sind etwas, was wir im klinischen Alltag sehr häufig sehen“, sagt Josef Zacher, Chefarzt des Zentrums für Orthopädie und Unfallchirurgie und Ärztlicher Direktor am Helios-Klinikum in Berlin-Buch. Meist ist nicht sportliche Betätigung die Ursache, sondern es stürzt ein hochbetagter Mensch, dessen Knochen infolge einer Osteoporose besonders brüchig sind. Ob nun im Alltag oder beim Sport: „Es ist keine schlimme Sache, allerdings in den ersten Tagen ausgesprochen schmerzhaft.“ Zur Behandlung gehört deshalb an erster Stelle eine wirkungsvolle Bekämpfung der Schmerzen. Schon weil es sonst unmöglich ist, der zweiten Maxime der modernen orthopädischen und unfallchirurgischen Therapie zu folgen: So schnell wie möglich wieder bewegen! Dabei sind Gehhilfen die richtige Unterstützung, außerdem gezielte Physiotherapie. Da bei eingeschränkter Beweglichkeit, vor allem nach Verletzungen im Beckenraum, das Risiko einer Thrombose erhöht ist, spricht Zacher sich zudem dafür aus, dass die Patienten sich mehrere Wochen lang Mittel spritzen, die die Blutgerinnung hemmen.

Ein solcher unvollständiger Bruch heile in der Regel gut aus, sagt der Orthopäde. „Die Betroffenen sind in der Regel schon vorher wieder einsatzfähig. Sie müssen in ihrem Alltag aber einige Zeit klare Prioritäten setzen.“ Anstrengende Reisen, vor allem Langstreckenflüge, gehören aus verschiedenen Gründen nicht dazu.

Welche politischen Folgen haben Krankheiten von Regierungschefs?

Zumindest in demokratischen Staaten ist die Gesundheit der wichtigsten politischen Figur von hoher symbolischer Bedeutung. In einer Diktatur mit gelenkter Presse mag es gelingen, das Siechtum eines Spitzenmannes zu verheimlichen. In Ländern, in denen eine Regierungschefin oder ein Regierungschef in einer Woche viele öffentliche Termine absolviert, ist das fast unmöglich. Wie weit jemand im Vollbesitz seiner geistigen und körperlichen Fähigkeiten ist, lässt Rückschlüsse auf seine Leistungs- und Durchsetzungskraft zu. Manchmal genügt schon eine Andeutung, um negative Assoziationen zu wecken. Im Medienzeitalter vermeiden viele Politiker deshalb Fotos, die sie an Krücken oder mit Objekten zeigen, die für Schwäche stehen. Als sich US-Präsident George Bush Senior 1992 bei einem Staatsbankett in Japan übergeben musste, galt der unappetitliche Vorfall sofort als Beleg für seine politische Schwäche.

Es gibt allerdings auch Gegenbeispiele: Dem querschnittsgelähmten Wolfgang Schäuble trauten in den 90er Jahren nicht nur in der eigenen Partei viele zu, Helmut Kohl als Kanzler zu beerben. Allerdings hatte er da bereits gezeigt, dass er mit seinem Schicksal umgehen konnte. Längere Krankheiten von Spitzenpolitikern dagegen provozieren regelmäßig Debatten über mögliche Nachfolger. Das musste Schäuble erleben, als er im Jahr 2010 sein Ressort mehrere Wochen vom Krankenbett aus führte. Damals entbrannte eine Diskussion, ob es in Zeiten der Euro- Krise genüge, wenn in wichtigen Brüsseler Runden Deutschland nur durch einen Staatssekretär vertreten sei. Viele Aufgaben lassen sich im Zeitalter digitaler Kommunikation von jedem Ort der Welt und damit auch von einem Schlafzimmer oder Krankenhaus-Bett aus erledigen. In entscheidenden Momenten allerdings müssen Spitzenpolitiker präsent sein – unter Umständen auch dann, wenn es ihnen in Wirklichkeit elendig geht. Legendär ist der Auftritt von Helmut Kohl auf dem Bremer CDU-Parteitag 1989, bei dem er einen Putsch von Heiner Geißler und Lothar Späth abwehren musste. Was damals niemand wusste: Nach einer Prostata-OP ertrug Kohl unter höllischen Schmerzen einen Blasenkatheter. Zwei Stunden hatten ihm die Ärzte erlaubt. 17 Stunden saß er auf der Bühne. Dann ging er nach Hause, die Gegner waren besiegt.

Welche Termine muss Merkel absagen?

Nicht wahrnehmen wird sie den für Mittwoch geplanten Antrittsbesuch in Polen, ein Gespräch mit dem luxemburgischen Premierministers Xavier Bettel am Donnerstag in Berlin sowie den Antrittsbesuch des Arbeitgeberpräsidenten Ingo Kramer. Die weiteren Termine der Kanzlerin sollen Woche für Woche bekannt gegeben werden. Die Kabinettsitzung am Mittwoch will Merkel auf jeden Fall persönlich leiten, auch die Sternsinger am heutigen Dienstag will sie selbst im Kanzleramt empfangen.

Wie gefährlich ist Skilanglauf?

Schmale, relativ lange Skier, die Notwendigkeit, tiefe Spuren schnell zu wechseln, dazu das Tempo, das man bei einigen Abfahrten in den Alpen auch hier gewinnt: Ganz ohne ist der Skilanglauf vor allem für Unerfahrene nicht. „Die häufigsten Unfälle betreffen allerdings die oberen Extremitäten und passieren beim Abstützen“, berichtet Zacher. Dazu kommen Verletzungen des Sprunggelenks eines Fußes. So viele Unfälle wie beim Abfahrtslauf auf Skiern und Snowboards passieren trotzdem nicht, zumal die meisten eher in gemächlichem Tempo in der Ebene langlaufen. Und schwere, lebensgefährliche Verletzungen gibt es so gut wie gar nicht.

„Wir Ärzte empfehlen den Skilanglauf, denn er ist aus orthopädischer Sicht relativ ungefährlich und dazu ein gutes Ausdauertraining für Herz und Kreislauf, ähnlich wie Walken oder Joggen“, sagt Josef Zacher. Er sieht keinen Grund, Spitzenpolitikern davon abzuraten. Denn eigentlich ist es ideal, den guten Vorsatz fürs neue Jahr auf Langlaufbrettern in die Tat umzusetzen. Gerade nach langwierigen Sitzungen, wie die Koalitionsverhandlungen sie erforderten.

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