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Impfung von Kindern ist ein Thema, bei dem Eltern leicht in Rage geraten können.

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Verfassungsgericht zu Masern-Impfpflicht: Das Recht von Eltern besteht darin, das Kindeswohl zu achten

In Gesundheitsfragen leben manche Väter und Mütter in einer Parallelwelt. Es ist richtig, wenn der Staat es eindringlich versucht, sie zur Vernunft zu bringen.

Kinderkrankheit ist ein zu harmloses Wort für das, was der Masernvirus mit jungen und durchaus auch älteren Menschen anrichten kann. Eine Mittelohrentzündung gehört zu den häufigeren, wenngleich weniger gefährlichen Komplikationen; greift der Erreger auf Lunge und Gehirn über, wird es lebensbedrohlich. Einen Impfstoff gibt es seit den sechziger Jahren, eine Impfpflicht in Deutschland bisher nicht.

Die Politik hat einen anderen Weg gewählt. An Gemeinschaftseinrichtungen wie Kitas und Schulen ist seit zwei Jahren eine Impfung nachzuweisen. Fehlt sie, kann der Besuch verboten werden oder es droht, weil die Schulpflicht ein Verbot nicht zulässt, ein Bußgeld. Ähnlich ging der Bundestag vor, als er in der Covid-Pandemie Pflegekräften eine Impfung verordnete. Förmlich kann man sich frei entscheiden. Doch bei Nein heißt es: raus aus dem Job, raus aus der Kita.

Für die künftige Corona-Politik ist aus der Entscheidung wenig zu gewinnen

Dem Bundesverfassungsgericht ist für die deutliche Aussage zu danken, dass eins wie das andere auf dasselbe hinausläuft, nämlich eine De-facto-Verpflichtung, sich per Spritze immunisieren zu lassen. Trotzdem hat das Bundesverfassungsgericht jetzt – wie zuvor bei der Corona-Impfpflicht in Krankenhäusern und Arztpraxen – den gesetzgeberischen Eingriff in die Volksgesundheit auch bei den Masern passieren lassen und Beschwerden von Familien zurückgewiesen.

Für die künftige Corona-Politik ist aus der Entscheidung wenig zu gewinnen. Das Gericht bekräftigt seine Ansicht, das Handeln der Politik angesichts von Unsicherheiten nur eingeschränkt kontrollieren zu können. Und solche bestehen auch beim Masernvirus, der sich zwar nur selten ausbreitet, aber anders als in anderen Ländern in Deutschland noch nicht als eliminiert gelten kann. Ansonsten sind Virus und Virus schlecht miteinander zu vergleichen. Zudem hat Covid die Welt und den Alltag verändert, die Masern haben es nicht.

Kinder gehören nicht den Eltern, sondern sich selbst

Aufmerksamkeit verdient der Richterspruch in anderer Hinsicht. Er macht Eltern deutlich, dass die nahezu unbegrenzte Selbstbestimmung über den eigenen Körper bei der Gesundheit der eigenen Kinder ein Ende finden muss. Während sie sich im Rahmen ihrer Autonomie mit sämtlichen Viren anstecken dürften, die die Natur bereithält, sind sie bei der Gesundheitssorge für den Nachwuchs auf das Kindeswohl verpflichtet – eines, das auch und gerade in medizinischen Fragen nach objektiven Kriterien bestimmt werden kann. Beides in eins zu setzen, die fixen Ideen der Eltern und das Gesundheitsschicksal der Kinder, geht nicht. Oder, wie es das Gericht formuliert: Mütter und Väter sind hier „weniger frei, sich gegen Standards medizinischer Vernünftigkeit zu wenden“.

Weniger frei, das wird nicht gern gehört in städtischen Milieus, in denen Kinderleben ebenjenen „Standards“ der Massengesellschaft entzogen werden, weil diese nach festem Glauben mancher Eltern das Grundübel sind, an dem sich Krankheit und Seuchen entzünden. Hier hat sich eine Art Parallelvernunft entwickelt, die mit dafür verantwortlich sein dürfte, dass die Bundesrepublik bei der Bekämpfung der Masern noch steht, wo sie steht, und die im Streit um die Corona-Politik pandemische Ausmaße bekam. Sie ist das Problem, dessentwegen das Bundesverfassungsgericht jetzt etwas zum Leitsatz erheben musste, das doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist: dass Kinder nur sich selbst gehören.

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