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Politik: Boom der Braunkohle

Experten sprechen vom „Energiewende-Paradox“.

Berlin - Stromkunden zahlen große Summen für den Ausbau der erneuerbaren Energien; allein in diesem Jahr dürften es rund 23,5 Milliarden Euro werden. Klimafreundlicher wird Deutschland allein dadurch aber offenbar nicht: 2013 wurde so viel Strom aus besonders schmutziger Braunkohle produziert wie seit der deutschen Einheit nicht mehr.

Im vergangenen Jahr waren es rund 162 Milliarden Kilowattstunden (kWh), wie aus einer Bilanz der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen hervorgeht. Demnach war die Braunkohle-Verstromung zuletzt 1990 mit 170,9 Milliarden kWh höher. Damals waren noch Kraftwerke der DDR am Netz. In den folgenden Jahren lag die Braunkohleverstromung immer unter 160 Milliarden kWh. Der mit 136 Milliarden historische Tiefpunkt für die Braunkohle war 1999. Im Jahr darauf setzte die damalige rot-grüne Bundesregierung das erste Erneuerbare-Energien- Gesetz durch.

In den 23 Jahren seit der Einheit hat sich der Stromerzeugungsmix stark gewandelt: Kernkraftwerke produzieren wegen des Atomausstiegs nur noch zwei Drittel der Strommenge von 1990, zuletzt waren es 97 Milliarden kWh. Die Produktion aus Steinkohle sank von 141 auf 124 Milliarden kWh. Die Bedeutung des Erdgases hatte zwischenzeitlich stark zugenommen: Von 36 Milliarden kWh (1990) auf gut 89 Milliarden im Jahre 2010. Doch Gaskraftwerke rechnen sich heute kaum noch: 2013 produzierten sie noch 66 Milliarden kWh (2013).

Die erneuerbaren Energien leisten wegen der Förderung einen stetig steigenden Beitrag: 20 Milliarden kWh waren es 1990, zuletzt mit 147 Milliarden kWh mehr als siebenmal so viel. Fast ein Viertel (23,4 Prozent) des produzierten Stroms stammt heute aus regenerativen Quellen. Dennoch wird wegen des Braunkohlebooms und des Atomausstiegs insgesamt immer mehr CO2 ausgestoßen. Strommarktfachmann Patrick Graichen von der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende spricht vom „Energiewende- Paradox“.

Er verweist auf den Umstand, dass der CO2-Ausstoß derzeit kaum etwas koste. „Der europäische Markt für Emissionsrechtezertifikate muss dringend repariert werden, um das zu ändern“, fordert er und wirbt für das sogenannte Backloading. Dabei sollen diese Zertifikate vom Markt genommen werden, um den Preis der verbleibenden zu steigern. Erst dann – so die Erwartung – gibt es für die Industrie wieder Anreize, in klimafreundlichere Technologien zu investieren. Bei dem derzeit niedrigen Zertifikatepreis ist es für die Kraftwerksbetreiber lukrativer, viel Kohlestrom zu erzeugen – und zu exportieren. 2013 habe Deutschland an acht von zehn Tagen mehr Strom exportiert als importiert, rechnet Graichen vor. Das sei zu einem Großteil Strom aus Braun- und Steinkohlekraftwerken gewesen und habe so im Ausland die Grünstromerzeugung erschwert. Kevin P. Hoffmann

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