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Tunesien und Marokko: Angst vor dem Domino-Effekt

Auch nach dem Umsturz in Tunesien erscheint in Marokko nach außen die Lage stabil – doch auch dort gibt es gerade in der jungen Generation viele Unzufriedene.

Berlin - Greift die tunesische Jasmin-Revolution auch auf andere Länder über? Die Frage, die sich seit dem Sturz des tunesischen Staatschefs Zine el Abidine Ben Ali in der gesamten arabischen Welt stellt, beschäftigt auch Marokkos Politiker. Das hat seinen Grund: Ähnlich wie in Tunesien drängen auch in Marokko zahlreiche junge Menschen auf den Arbeitsmarkt und gehen dabei leer aus. In Tunesien entstand aus der Unzufriedenheit der Jugend eine breite Volksbewegung. Die Lage in Marokko ist ruhiger, aber auszuschließen ist ein Übergreifen der tunesischen Unruhen auf den westlichen Maghreb-Staat dennoch nicht.

Fragt man marokkanische Politiker, ob sie nun einen Domino-Effekt befürchten, so werden keine Zweifel an der Stabilität der parlamentarischen Monarchie unter der Führung des 47-jährigen Königs Mohammed VI. laut. „Für Marokko gibt es überhaupt keine Ansteckungsgefahr“, sagt Driss Sentissi, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im marokkanischen Parlament. In Tunesien sei es zum „Bruch“ zwischen dem Regime und der Bevölkerung gekommen, analysiert der Politiker, der der liberalen Partei „Mouvement populaire“ angehört. In Marokko ist die Situation nach seinen Worten völlig anders: „Alle stehen hinter dem jungen König“, sagt Sentissi. Dennoch will er nicht leugnen, dass es in seinem Heimatland auch Probleme gibt: Arbeitslosigkeit, ungleiche Verteilung der Einkommen, Haftstrafen für Journalisten. Hinzu kommt die Korruption, die die Enthüllungsplattform Wikileaks öffentlich machte. So war in einem Kabel aus dem US-Konsulat in Casablanca im Dezember 2009 nachzulesen, dass die Korruption im marokkanischen Immobiliensektor blüht.

Marokko ist eine Autokratie, die allerdings dem tunesischen Regime unter Ben Ali einiges voraus hat. Es gibt in Marokko ein größeres Maß an Meinungsfreiheit, Demonstrationen sind an der Tagesordnung. Regelmäßig gehen arbeitslose Akademiker in Rabat auf die Straße und fordern eine Anstellung im öffentlichen Dienst.

Auch wenn König Mohammed VI. seinen Untertanen mehr Rechte zugesteht, als dies der gestürzte tunesische Präsident Ben Ali jemals tat, so gibt es doch Alarmsignale für die Herrschenden in Marokko. Aus einer Umfrage des Gallup-Instituts in 22 arabischen Staaten geht hervor, dass bis zu 45 Prozent der jungen Menschen in Marokko, Tunesien und Jemen ihrer Heimat den Rücken kehren wollen. Der marokkanische Abgeordnete Sentissi sieht das anders: „Inzwischen ist zu beobachten, dass die marokkanischen Immigranten, die nach Italien und Spanien gegangen sind, wieder zurückkehren wollen.“ Für viele von ihnen, so sagt er, hätten sich die wirtschaftlichen Hoffnungen nicht erfüllt. Ganz ausschließen mag auch König Mohammed VI. ein Überspringen des tunesischen Funkens offenbar nicht. Sonst wäre in Marokko nicht am 12. Januar – in der Woche, in der Ben Ali stürzte – ein Auftrag zum Kauf von 255 000 Tonnen Getreide ausgeschrieben worden. So scheint in jedem Fall eines im Königreich nicht bevorzustehen – eine Hungerrevolte.

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