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Meinung: Wehr ist der Staat

Die harte Reaktion auf den RAF-Terror entfremdete zwei Generationen

Die Deutsche Bank hat am gestrigen Sonntag etwas Unübliches gemacht. Sie erinnerte in einer Anzeige mit einem Zitat an ihren Vorstandssprecher Alfred Herrhausen. Das Zitat handelte von – wie man heute sagt: nachhaltiger Entwicklungspolitik. Es stammte aus einem Vortrag, den Herrhausen Anfang Dezember 1989 halten wollte. Er kam nicht mehr dazu. Am 30. November 1989 starb er bei einem der brachialsten Sprengstoffanschläge, die die Rote-Armee-Fraktion zustande brachte.

So ändern sich die Zeiten. Die Bank, zwischendurch ein wenig ins Gerede gekommen wegen der Gehaltsansprüche eines Herrhausen-Nachfolgers, betreibt Imagepflege mit dem Nachlass eines Mannes, der seinerzeit als „Manager des Jahres“ großes Ansehen genoss. Das Land aber schaut (durch seine Medien) auf eine Ausstellung, die von den Bildern der Täter handelt, vorwiegend jedenfalls. Das mörderische Wirken der Terroristen der RAF wird in der Berliner RAF-Ausstellung ausführlich und gut dokumentiert – doch animiert fühlten sich die Künstler, deren Werke jetzt zu sehen sind, von den Tätern, nicht von den Opfern.

Ein merkwürdiger Effekt dürfte sich bei nicht wenigen einstellen, die sich nun mit der RAF befassen – zumal bei denen, die Erinnerungen an die Zeit der RAF haben. Ein Gefühl des Befremdens wird wieder wach. Wer die Zeit der RAF, vor allem die 70er und 80er Jahre, bewusst erlebt hat, wird es kennen. Es bezieht sich selbstverständlich auf die Attentäter. Aber es bezieht den Staat mit ein.

Man erinnert sich an eine Gruppe von Polit-Desperados, deren Steckbrief-Bilder in jedem Postamt und auf jedem Bahnhof zu sehen waren. Auf manchen Plakaten waren manche Gesichter durchgestrichen. Man erinnert sich auch an immer irrer werdende Mordanschläge, deren Motive, wenn überhaupt, in einer unverständlichen, hermetischen Sprache von selbst ernannten „Kommandos“ verkündet wurden. Der Staat aber legte sich einen autoritären Zug zu – als habe die Politik im Kollektiv die Nerven verloren.

Politiker, die damals Verantwortung trugen, sprechen heute von „Überreaktionen“ des Staates. Am klarsten zeigten sich die während der Suche nach dem entführten und furchtbar malträtierten Hanns Martin Schleyer. Wer während der 50 Tage dauernden Zeit der „Nachrichtensperre“ in eine der zahlreichen Verkehrskontrollen geriet, blickte bei der Suche nach den Papieren stets in die Mündung einer Schusswaffe.

Ein Gefühl des Befremdetseins dürften viele von denen empfunden haben, die der Studentenbewegung angehörten. Doch genauso stark betraf es die Generation danach. Es gehört zu den Kollateralschäden, die die RAF angerichtet hat, dass sie den Staat in eine demonstrative Wehrhaftigkeit trieb und seine Institutionen in die Abschottung. Der westdeutsche Staat hatte sich vorführen lassen von den Polit-Killern, jetzt zeigte er Härte, und zwar gründlich.

Die Frage, warum es für viele Jüngere so schwer war, sich aus Sympathie zur Bundesrepublik zu bekennen, stellt sich in Anbetracht der Fotos von den Opfern der RAF in der Berliner Ausstellung abermals. Wessen Staat war es, der da von der Überrumpelung in wenigen Jahren zur neuen Wehrhaftigkeit fand? Es war ein Staat, der die Terroristen nicht unter Kontrolle bekam – und der in der Auseinandersetzung mit dem Terror den Tod eines Entführungsopfers hinnahm.

Die RAF hat sich erledigt. Die Bundesrepublik verlor im Umgang mit ihr den letzten Rest von Naivität und Unschuld. Die Unnachgiebigkeit, mit der man heute rechnen muss, wenn der Staat erpresst wird, verdankt sie dem „bewaffneten Kampf“ mit ein paar durchgedrehten Linken.

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