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Meinung: Muss das Stammzellgesetz gelockert werden?

Zu „Schavans Dilemma – Die Bildungsministerin will eine Lockerung des Stammzellgesetzes – um Schlimmeres zu verhindern“ von Rainer Woratschka vom 13. Februar Seit 1991 ist die Erzeugung embryonaler Stammzellen in Deutschland verboten, die Einfuhr embyronaler Stammzellen und Stammzelllinien aus dem Ausland wird durch das Stammzellgesetz strikt geregelt: Es dürfen nur Stammzelllinien importiert werden, die vor dem 1.

Zu „Schavans Dilemma – Die Bildungsministerin

will eine Lockerung des Stammzellgesetzes –

um Schlimmeres zu verhindern“

von Rainer Woratschka vom 13. Februar

Seit 1991 ist die Erzeugung embryonaler Stammzellen in Deutschland verboten, die Einfuhr embyronaler Stammzellen und Stammzelllinien aus dem Ausland wird durch das Stammzellgesetz strikt geregelt: Es dürfen nur Stammzelllinien importiert werden, die vor dem 1. Januar 2002 erzeugt wurden, damit eine gezielte Produktion von embryonalen Stammzellen für den deutschen Markt vermieden wird. Nun wird seit einiger Zeit von verschiedenen Seiten mit den unterschiedlichsten Begründungen versucht, diese Regelung zu kippen bzw. durch eine „einmalige“ Verschiebung des Stichtags aufzuweichen. Für die regelmäßige ausführliche und differenzierte Berichterstattung zu diesem sensiblen Thema sei dem Tagesspiegel hiermit ausdrücklich gedankt.

Im Endeffekt läuft die aktuelle Debatte derzeit wohl darauf hinaus, dass die strengen Auflagen für Stammzellforscher in Deutschland gelockert werden sollen, die Bundesminister Annette Schavan, Horst Seehofer und Brigitte Zypries haben sich da schon eindeutig positioniert. Erstaunt hat mich aber vor allem, dass sogar in der evangelische Kirche für eine Lockerung der derzeitigen Bestimmungen plädiert wird. Dabei wird das Kernproblem in allen Debatten über die Nutzung embryonaler Stammzellen konsequent ausgespart: Besitzt ein früher Embryo Menschenwürde oder nicht? Ich meine, erst wenn diese Frage eindeutig geklärt ist, kann man guten Gewissens über die Zulässigkeit der Nutzung embryonaler Stammzellen zu Forschungszwecken entscheiden. Ob sie überhaupt notwendig ist, ist eine andere Frage, die es zu beantworten gilt.

Markus Methner, Berlin-Köpenick

Sehr geehrter Herr Methner,

Ihr Leserbrief trifft eine der Kernfragen der Diskussion um das Stammzellgesetz: Ist der Embryo in der Petrischale menschliches Leben und, wenn ja, in welchem Maße dürfen Embryonen für die Forschung genutzt werden? Für mich ist klar: auch die Zellansammlung von der Größe eines Punktes ist menschliches Leben, dennoch kann der Schutzbereich nicht so umfassend sein wie beispielsweise beim Fötus im Mutterleib. Lebensschutz sollte sich von der Zeugung bis zur Geburt ansteigend entwickeln. Je weiter entwickelt das Leben ist, desto stärker muss es geschützt werden. Das ist gegenwärtig leider nicht der Fall. Faktisch ist der Embryo erheblich stärker geschützt als der bereits viel weiter ausgebildete Fötus bis zum Stichtag der Abtreibung nach Paragraf 218. Das passt nicht zusammen.

Der Zweck, mit embryonalen Stammzellen irgendwann Therapien für schwere Krankheiten wie Alzheimer, Multiple Sklerose oder Parkinson zu entwickeln, ist eindeutig forschungspolitisch hochrangig. Viele Menschen warten sehnsüchtig auf Hilfe, die es zwar heute und morgen nicht geben wird, für die wir aber arbeiten müssen.

Aus meiner Sicht ist es notwendig, den Stichtag 1.1.2002 als Begrenzung der Importmöglichkeiten für embryonale Stammzellen abzuschaffen. Deutsche Forscher müssen im Vergleich zu ihren Kollegen in Großbritannien, den Niederlanden oder Skandinavien mit Stammzelllinien arbeiten, die für spätere Therapien nicht geeignet sind. Sicher kann auch mit älteren Linien Grundlagenforschung betrieben werden, aber die Möglichkeiten sind eingeschränkt und die Veröffentlichungen zu den älteren Linien nehmen deutlich ab.

Eine Verschiebung des Stichtages wäre eine „ethische Wanderdüne“. Entweder man hält die Forschung an embryonalen Stammzellen für moralisch verwerflich, dann ist sie es zu jedem Zeitpunkt. Oder man hält sie – wie ich – für moralisch geboten, dann brauche ich auch keinen Stichtag. Ziel des Stammzellgesetzes von 2001 war es ja, dass von deutschem Boden kein Anreiz für die „Produktion“ von Stammzelllinien ausgehen sollte. Die Zahl der verfügbaren Linien hat sich auch ohne deutsche Wissenschaftler auf über 500 erhöht. Es ist nicht zu erwarten, dass bei einer Abschaffung des Stichtages ein messbarer Zuwachs an Stammzelllinien entstehen würde.

Dem Deutschen Bundestag liegen vier Gesetzentwürfe und ein Antrag vor. Unser Antrag fordert klar die Abschaffung des Stichtages und der Strafbarkeit für deutsche Wissenschaftler, die im Ausland mit embryonalen Stammzellen arbeiten. Er ist insofern der konsequenteste Antrag für eine menschenfreundliche Medizin.

Mit freundlichen Grüßen

— Ulrike Flach, MdB, Sprecherin

für Technologiepolitik der FDP-Fraktion

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