Lesermeinung: Nikolaikirche reicht

Mein Mann wurde 1941 in der Garnisonkirche konfirmiert, unsere beiden Töchter 1959 und 1963 in der Heilig-Kreuz-Kapelle getauft. Ulbricht und Honecker schafften es, dass meine Enkelkinder Atheisten sind. Die Einweihung des Glockenspiels am 14. April 1991 werde ich nicht vergessen. Es war für mich das erste Mal, dass ich freiwillig an einer öffentlichen Feierstunde teilnahm. Wie aufregend damals, den Kronprinzen zu sehen. Von den Rednern ist mir nur Frau Becker, die über 90-jährige Witwe des letzten Glockisten in Erinnerung geblieben. Viele Besucher kamen aus Westberlin. Der Wiederaufbau der Garnisonskirche war natürlich das Gesprächsthema. Leider hatte mein Mann mit seiner Prognose Recht, dass er dieses Ereignis nie miterleben würde. Ich äußerte, wie immer, meine Meinung viel zu laut: „Es gibt in Potsdam so schöne alte Villen, die ganz nötig restauriert werden müssen.“ Die Reaktion darauf habe ich bis heute nicht vergessen: „Wer Geld spendet, darf auch bestimmen wofür es ausgegeben wird“. Eine Westberlinerin hatte mir kleinem Ossi eine Lektion erteilt. Ich habe sie gelernt! In der DDR kam das große Geld aus dem „großen Topf“. Wer am lautesten schrie, bekam am meisten. Ich hatte mit der Arbeit und der Erziehung meiner Kinder genug zu tun und kümmerte mich wenig um die großen Dinge. Wir verdienten genug um zu leben, aber Spendengeld war kein Thema. Heute geht es mir finanziell etwas besser. Gelegentlich stecke ich ein Geldstück in die Sammelbüchse am Pfingstberg. Meine Meinung zum Wiederaufbau der Kirche hat sich nicht geändert. Potsdam hat die große Nikolaikirche, sie reicht auch bei steigender Anzahl der Christen noch aus. Wenn man das Stadtbild verschönern will bitte, aber nicht von den Steuergeldern der kleinen Leute. Ursula Cemmerer, Potsdam

Ursula Cemmerer