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Meinung: DIE USA UND DER KRIEG Wo bleibt die Moral?

Unser Leser Arne B. Protz fragt, ob sich die USA an ihre eigenen Maßstäbe halten. Jeffrey Gedmin, der Direktor des Aspen Instituts Berlin, antwortet.

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Betrifft: „Zurück nach Europa“ im Tagesspiegel vom 9. Mai 2003

In diesem Artikel wird einmal mehr deutlich, dass die amerikanische Regierung die eigens propagierten Werte der Demokratie in keiner Weise für andere akzeptiert. Es scheint, dass kein Land eigene Entscheidungen treffen darf, wenn diese nicht im Interesse der USA sind. So wird die Türkei diffamiert und ihr Versagen vorgeworfen, weil sie sich nicht hat bestimmen lassen, was sie zu tun hat. Auf der anderen Seite bekommt Spanien ein kleines Geschenk mit der Aufnahme der BatasumaPartei auf die Liste der Terrororganisationen, da die spanische Regierung mit wehenden Fahnen in die Kriegstreiberei eingestimmt hat. Leider scheint es nun auch so zu sein, dass alle Kriegsgegner sich wieder den Interessen der Amerikaner anschließen. Damit hat die Einschüchterungspolitik der USA wieder Erfolg und die Chance, die einzige Weltmacht in die Schranken zu weisen, ist verstrichen. Vor dem Hintergrund des Kampfes gegen den Terror, gegen Massenvernichtungswaffen und den Verstoß gegen das Atomwaffenabkommen stellt sich mir trotzdem die Frage, welches Land je solche Waffen eingesetzt hat. Dabei fallen mir für Jahrzehnte geschädigte und belastete Menschen und Landstriche in und um Hiroschima und Nagasaki ein, des Weiteren durch chemische und biologische Massenvernichtungswaffen zerstörte Vegetationen – und in jüngster Zeit die Verwendung mit Uran angereicherter Munition. Bis heute wurde nicht offiziell Verantwortung dafür übernommen. Wem kann Glaubwürdigkeit geschenkt werden, der hohe Moral von anderen verlangt und selbst diese Maßstäbe bei eigenen Handlungen außer Acht lässt?

Arne B. Protz, Berlin-Neukölln

Sehr geehrter Herr Protz,

das ist eine sehr populäre These: Amerika predigt Demokratie, aber erlaubt anderen Ländern nicht, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Doch ganz so ist es nicht. Die Amerikaner haben den Fall Irak sehr ernst genommen. Es ging darum, eine Bedrohung zu beseitigen, ein Volk zu befreien. Um dies zu erreichen, waren wir bereit, das Leben unserer Kinder zu opfern.

Ja, wir sind von der Türkei enttäuscht. Wäre es uns erlaubt worden, eine Front im Norden zu eröffnen, wäre der Krieg vielleicht sogar noch schneller zu Ende gegangen. Mit Sicherheit wären weniger Menschen gestorben. Wir sind auch von der deutschen Regierung enttäuscht, die im negativen Sinne mehr getan hat als sich nur zu enthalten. Denken Sie einmal an ein fundamentales deutsches Interesse: nehmen wir zum Beispiel die deutsche Wiedervereinigung. Stellen Sie sich vor, die Amerikaner hätten sich aktiv und energisch mit den Maggie Thatchers und Mitterrands verbündet, um den Wiedervereinigungsprozess zu stoppen.

Dennoch: Es gibt keinen US-geführten Putsch in Ankara. Es rollen auch keine amerikanischen Panzer durch Neukölln. George W. Bush, der am meisten dämonisierte amerikanische Präsident seit Ronald Reagan – der Verrückte, der Herrn Gorbatschow dazu aufrief, die Mauer einzureißen – hat gerade seinen Außenminister Colin Powell nach Berlin geschickt, um damit zu beginnen, die Beziehung zu reparieren. Es scheint in der Tat so zu sein, dass es den Deutschen erlaubt ist, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Aber ist es uns nicht auch gestattet, unsere Partnerschaft neu auszuloten – und nebenbei die Alliierten zu belohnen, die uns geholfen haben Saddam Hussein zu vertreiben?

Ihre größte Sorge scheint zu sein, dass eine Gelegenheit verpasst wurde: Die einzige Weltmacht in die Schranken zu weisen. Ich habe mich immer gefragt, ob es bei der Opposition gegen den Krieg nicht zu einem großen Teil um eine Opposition gegen Amerika ging – und nicht darum, die Iraker zu beschützen. Wo waren die Zehntausenden Demonstranten, als Iraker in den zurückliegenden Jahren gequält, beraubt und getötet wurden? Wir haben Massengräber im Irak entdeckt, diese Woche vielleicht sogar 15 000 Tote an nur einer Stelle. Werden die deutschen Schulen und Kirchen, deutsche Musiker und Minister für diese Toten nun Lichterketten am Brandenburger Tor organisieren?

Schließlich: Hiroschima und Nagasaki. Die Entscheidung, die Bombe zu werfen war und ist Gegenstand zahlreicher Artikel und Bücher, war und ist Gegenstand von Konferenzen in Amerika. Zu Recht. Eine Debatte. Eine Seelenstudie. Aber den Selbstgerechten, die uns reduzieren wollen auf einen dieser simplen moralischen Sprüche wie man sie auf Demo-Plaketten findet („Keine neuen Hiroschimas!“) würden wir gerne zurufen: Nein, Ihr seid zuerst an der Reihe – „Keine neuen Pearl Harbours!“

Jeffrey Gedmin,

Direktor des Aspen Instituts Berlin

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