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Meinung: Alter Kontinent, alte Sünden

Von Jacob Heilbrunn Ist es da plötzlich wieder: das hässliche Deutschland? Der Kanzler sagt, Jürgen Möllemanns rechtspopulistische bis antisemitische Ausfälle schadeten dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik.

Von Jacob Heilbrunn

Ist es da plötzlich wieder: das hässliche Deutschland? Der Kanzler sagt, Jürgen Möllemanns rechtspopulistische bis antisemitische Ausfälle schadeten dem internationalen Ansehen der Bundesrepublik. Nun kommt auch noch die Debatte um einen literarischen Judenmord hinzu.

Natürlich lösen solche Meldungen in Israel, Amerika und anderswo Fragen nach dem mentalen Zustand Deutschlands aus. Aber entscheidend für das Urteil über das Land ist doch nicht die Existenz solcher Krisen, sondern die Frage, wie die Gesellschaft reagiert. Deutschland hat im Umgang mit der Möllemann-Affäre wie auch mit den Enthüllungen über Walsers neuen Roman (und der Weigerung des FAZ-Herausgebers Frank Schirrmacher, ihn abzudrucken) kein schlechtes Bild abgegeben. Die Zeiten, als Deutschland beweisen musste, dass es eine Demokratie ist, sind längst vorbei. Es bleibt jedoch wichtig, eine glasklare Grenze zwischen Kritik an Israel und antisemitischen Äußerungen zu ziehen; sonst diskreditiert man auch die legitime Kritik.

Joschka Fischer ist das kürzlich in einem erhellenden Aufsatz über Deutschlands Beziehungen zu Israel gelungen. Bei Fischer hat man stets das Gefühl, es mit einem Freund zu tun zu haben – mit einem kritischen Freund. Möllemann profiliert sich als Feind Israels und als Feind der deutschen Juden. Für jemanden wie mich, der mit Guido Westerwelle und anderen führenden FDP-Politikern seit den 80er Jahren befreundet ist, sind Möllemanns Tiraden eine Zumutung – mehr noch: ein Schlag ins Gesicht. Bewusst oder unbewusst knüpft Möllemann an die schlimmsten Jahre der Nachkriegs-FDP an. Sie war zeitweise ein Sammelbecken für alte Nazis, besonders in Nordrhein-Westfalen.

Im Fall Möllemann/FDP geht es um machtpolitische Fragen, im Fall Walser/Schirrmacher nicht. Die Entscheidung, den „Tod eines Kritikers“ nicht abzudrucken, war ein moralischer Akt. Niemand hat Schirrmacher dazu gezwungen. Wer Walsers Roman „Ein Springender Brunnen" gelesen hat, der zwischen den Zeilen der verlorenen Volksgemeinschaft nachtrauert, kann sich gut vorstellen, dass die Vorwürfe Schirrmachers und anderer gegen Walsers neuestes Manuskript nicht aus der Luft gegriffen sind.

Eingangs schrieb ich, wichtiger als die Krise selbst sei, wie das Land mit ihr umgeht. Zweitrangig sind die Nachrichten über antisemitische Strömungen in Europa und in Deutschland dennoch nicht. Sie werden in den USA aufmerksam registriert – und man fragt, wie die Öffentlichkeit sich verhält. Abraham Foxman von der „Anti-Defamation League“ zum Beispiel verlangt, EZB-Chef Willem Duisenberg solle sich von den antisemitischen Äußerungen seiner Frau Greta distanzieren. Sie soll gesagt haben, die reiche amerikanisch-jüdische Lobby sei Schuld am Leid der Palästinenser. Wenn solche Ansichten in Europa verbreitet werden, stärkt das den Verdacht in Amerika, Europas Krise sei im Kern keine wirtschaftliche oder außenpolitische Krise, sondern eine kulturelle.

Kurt Schumacher hatte in den Jahren nach dem Krieg die Bedeutung der politischen Kultur für eine „wehrhafte Demokratie" begriffen. Im Ausland interpretiert man Möllemanns Tiraden gegen Michel Friedman als Begleiterscheinung eines wiedervereinigten Deutschlands, dass sich mehr traut. Für mich ist entscheidend (und beruhigend), dass ein Großteil der Gesellschaft sich gegen neuen Antisemitismus wehrt.

Der Autor ist Leitartikler der „Los Angeles Times“. Foto: privat

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