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Kultur: Stressfaktor Gott

Teil 2

Die xenopathischen Dispositionen der Psyche werden zu einem Teil von den militanten Nationalstaaten und Ideologien aufgegriffen, die Menschen für ihre Kämpfe rekrutieren, zu einem anderen Teil von den Kulturindustrien, die ein Publikum für immer neue Schreckenswaren suchen.

Von beiden Fronten her wird die vielzitierte Seele im technischen Zeitalter mit neuartigen Formen des metaphysischen Thrills in Bewegung gehalten. Man darf den Siegeszug des Schauerromans seit dem 18. Jahrhundert (fortgeführt von den Horror und Katastrophenfilmen des 20.) als ein Leitsignal für die Säkularisierung des Unheimlichen verstehen. Die nicht-religiöse Xenolatrie greift alles auf, was geeignet ist, die Bereitschaft zum Überwältigtwerden durch Fremdes, Faszinierendes, Monströses zu befriedigen. Eine wirksame innere Grenze gibt es hierbei nicht; allenfalls der unermessliche Konformismus der Modernen kann die heilige Scheu ersetzen; fällt diese beiseite, ist alles möglich. Der Ruf nach Verantwortlichkeit (Selbstfesselung) gibt die typisch moderne Reaktion auf die Entdeckung eigener Schrankenlosigkeit.

Als das Monstrum der Monstren fungiert in der modernen Massenkultur die schöne Frau, die uns in ihrer unassimilierbaren Schönheit als das Fremdeste begegnet. Jede der Überschönen scheint dazu geschaffen, in ihren Betrachtern eine erhabene Hoffnungslosigkeit hervorzurufen. So fern die Mediengöttinnen dem religiösen Raum stehen mögen, erinnern sie doch jeden einzelnen im Publikum an seine Aufgabe, sich auf eine unvermeidliche Niederlage vorzubereiten. Ähnliches leisten die Bilder von Explosionen im aktuellen Aktionsfilm, die unablässig Sonnengleichnisse fürs Volk vorführen.

Der moderne religiöse Fundamentalismus beruht auf dem Versuch, den verharmlosten Gott wieder schrecklich zu machen – notfalls, indem man in seinem Namen imponierende Gräuel begeht. Diese Strategie zeitigt Augenblickserfolge, aber sie verfehlt das Ziel, ein neues Erhabenes aufzurichten, weil sie nur tückische Bedrohungen von der Seite oder von unten hervorbringt. Folglich erscheint uns der trotzig reaktualisierte „ernst zu nehmende“ Gott im Licht der erneuerten Bekenntnisse zu ihm eher abstoßend als erhaben – er bleibt bestenfalls, wie die ernste Oper, eine subventionierte Seltsamkeit.

Wie also haben wir‘s mit der Religion? Ich denke, wir sollen weiter ihre Marginalisierung feiern. Die wirklich gute Nachricht unserer Zeit bleibt doch, dass wenigsten der große Eine als Schreckensquelle neutralisiert wurde. Was das hellere Erbe der Religionen angeht, ist es in guten Händen bei denen, die dem Psychologen William James recht geben, wenn er sagt: Das Herz lebt in Chancen.

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