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Der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm erhielt zuletzt den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung.

© dpa/Hendrik Schmidt

„Die falsche Rede am falschen Ort“: Streit um israelisch-deutschen Philosophen Omri Boehm in Wien

Philosoph Omri Boehm wird in seiner Rede zum Start der Wiener Festwochen am Dienstag auch zum Nahostkonflikt sprechen. Trotz Protest hält Intendant Milo Rau an ihm fest.

Vor der Eröffnung der Wiener Festwochen mit der traditionellen „Rede an Europa“ auf dem Judenplatz in Wien an diesem Dienstagabend gibt es Streit um den diesjährigen Redner. Der israelisch-deutsche Philosoph Omri Boehm war erst vor sechs Wochen für sein Buch „Radikaler Universalismus“ mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet worden. In Österreich sieht er sich jetzt mit Kritik wegen seiner Haltung zum Nahostkonflikt und zu Israel konfrontiert.

Bereits am Freitag hatten die Festwochen den kurzfristigen Rückzug der Erste-Stiftung als Sponsor bekannt gegeben. Die von der Sparkasse getragene Stiftung hält den Wiener Judenplatz, den traditionellen Schauplatz der Rede, diesmal für nicht angemessen, da Omri Boehm den israelisch-palästinensischen Konflikt thematisieren wird.

Das IWM (Institut für die Wissenschaften vom Menschen), Kooperationspartner der Festwochen bei der Europa-Rede, hatte mitgeteilt, dass der Philosoph unter dem Titel „Shadows of History, Spectres of the Present: The Middle East War and Europe’s Challenge“ auch der Frage nachgehen werde, inwiefern der Konflikt „eine Gefahr für die europäische Identität“ darstelle. Den Festwochen zufolge wird es außerdem „um die Täter-Traumata der EU aus dem Menschheitsverbrechen des Holocaust und der kolonialen Verbrechen“ gehen.

Omri Boehm weist den Vorwurf des postkolonialistischen Denkens zurück

Ariel Muzicant, der Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses und Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, übt daran scharfe Kritik: „Es ist die falsche Rede am falschen Ort. Wäre ich 30 Jahre jünger, würde ich hingehen und Eier werfen“, sagte Muzicant.

Omri Boehm plädiert für eine Ein-Staaten-Lösung im Israel-Palästina-Konflikt und hält auch seit dem Hamas-Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober an einer israelisch-palästinensischen Föderation als Perspektive zur Beilegung des langjährigen Konflikts fest. Dem österreichischen „Standard“ sagte er zur aktuellen Auseinandersetzung um seine Person und seine Äußerungen: „Leute wie Ariel Muzicant, die sich beschwerten, dass ich postkoloniales Denken in den israelischen Kontext einführe, sind schlecht informiert.

Ich bin ein lautstarker Gegner des postkolonialistischen Denkens, theoretisch und im israelisch-palästinensischen Kontext.“ Anscheinend störe sich Muzicant an der Tatsache, dass „ich mit Kant den Universalismus der Aufklärung vertrete“.

Festwochen-Intendant Milo Rau hält ebenso wie das IWM an Boehm als Redner fest. Laut Pressemitteilung lädt Rau die Israelische Kultusgemeinde und alle Kritiker einer „sicher schwierigen“ Verständigung zu Boehms Rede ein. „Diskutieren ist besser als Canceln!“ Auch zitieren die Festwochen den Aufsichtsrats-Vorsitzenden und früheren Kulturminister Rudolf Scholten, der im „Kurier“ sagte: „Wir müssen zeigen, dass in dieser Zeit, in der zu Recht aufgeregt über Israel und Palästina gesprochen wird, jemand guttut, der Perspektiven aufzeigt.“

Die eigentliche Eröffnung der Wiener Festwochen, in deren Vorfeld bereits um die Teilnahme von Nobelpreisträgerin Annie Ernaux und Griechenlands Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis am Begleitprogramm gestritten worden war, findet am 17. Mai auf dem Rathausplatz statt. Vor voraussichtlich 50.000 Menschen werden unter anderem Pussy Riot, Elfriede Jelinek, Kim de l’Horizon und Kirill Serebrennikow auftreten.

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