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Keine Seemannsromantik. Taucher versuchen auf den Philippinen, einen Frachter wieder flottzumachen.

© Reuters

Roman "Fearon" von James Hanley: Stetig bergab

Unter seinem Originaltitel sorgte James Hanleys Roman "Boy" 1931 in Großbritannien für einen Skandal. Wegen des "obszönen Charakters" einiger Bordellszenen wurde das Buch verboten. Jetzt erscheint der moderne Klassiker, der vom Scheitern eines Jugendlichen handelt, unter dem Titel „Fearon“ zum ersten Mal auf Deutsch.

Etwas aus dem Leben machen. Sich durchkämpfen. Niemals aufgeben. Das sind die Parolen, die der Rektor an seine Schüler ausgibt. Fearon, der Held von James Hanleys Roman „Boy“, der auf Deutsch jetzt unter dem Titel „Fearon“ herauskommt, ist einer der besten Schüler. Er träumt davon, das Abitur zu machen, Drogist zu werden. Das ist kein himmelstürmerischer Traum, aber für einen Jungen aus der Arbeiterklasse im Liverpool der frühen dreißiger Jahre ist dieser Traum schon zu groß. Sein Vater, ein alter Werftarbeiter, prügelt Fearon den Traum aus dem Leib und steckt ihn als Aushilfskraft in die Docks. Fearon muss zum Reinigen herunter in einen Schiffskessel, „bis zu den Knieen im grünen Schleim“. Es ist dunkel, es gibt Ratten.

Hanleys Roman ist das Gegenteil eines Entwicklungsromans. Nichts von Aufbruch und Emanzipation ist zu spüren. Für die erst 13, am Ende 15 Jahre alte Hauptfigur geht es nur bergab. Die Sätze, die Fearons Aufbäumen schildern, sind schnörkellos und manchmal wuchtig formuliert. So wurde „Boy“ zum Skandalbuch. 1931 erschienen, verbot es vier Jahre und einige Auflagen später ein britisches Geschworenengericht wegen seines „obszönen Charakters“. Hanley musste eine Strafe von 400 Pfund zahlen.

Es ging um die Bordellszenen im Buch und die Szenen, in denen Fearon von Männern missbraucht wird. „Seine beiden Hände begannen, den Jungen zu betasten“, heißt es da. „Der Mann hatte diesen Raum irgendwie ganz mit seiner Macht durchdrungen, er füllte ihn alleine zur Gänze aus.“ Nicht um Sex geht es in dieser Szene, sondern um ein - genau beschriebenes - Abhängigkeitsverhältnis. E.M. Forster hielt 1935 auf dem Schriftstellerkongress in Paris eine Verteidigungsrede für „Boy“, die allerdings nichts ändern konnte am Verbot.

Hanley, der selber aus Liverpool stammte und einige Jahre als Matrose zur See fuhr, hat ein beachtliches Werk von zwei Dutzend Romanen geschaffen, das trotz mehrerer Versuche bislang im deutschsprachigen Raum nicht angekommen ist. Die an Hemingway geschulte Abenteuergeschichte „Ozean“ etwa handelt von Überlebenden eines deutschen U-Boot-Angriffs im Zweiten Weltkrieg, die in einem Rettungsboot im Atlantik treiben. „Fearon“, von Joachim Kalka in ein prägnantes Deutsch gebracht, zeigt, was Hanley ist: ein moderner Klassiker.

Fearon flüchtet sich vor der Pein in den Docks an Bord eines Schiffes. Als blinder Passagier verhungert er beinahe, doch dann darf er als Leichtmatrose bleiben. Eine Art Karriere scheint vor ihm zu liegen. Aber anders als bei Melville oder Stevenson hat das Meer bei Hanley nichts Verlockendes mehr, es gibt keinen metaphysischen Überbau von Weite und Einsamkeit. Es geht nur noch ums Überleben. Fearon denkt, „dass er einem Federball glich, er war etwas, das hin und her geschleudert wurde, ausgeliefert, nicht der See selbst, sondern den Männern, deren Leben ganz von ihr geprägt worden waren“. In Alexandria, wo sein Schiff, die „Hernian“, landet, wird der Junge dann selbst zu einem dieser Männer.

James Hanley: Fearon. Roman. Aus dem Englischen von Joachim Kalka. Arco Verlag, Wuppertal. 268 Seiten, 24 €

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