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Kultur: Rüstung: 2882 Zitate aus dem Alltag

Im Abwehrkampf ist Franz Borkenhagen geübt. Rudolf Scharpings Sprecher muss häufig Unangenehmes in gesetzt-glättende Sprache kleiden.

Im Abwehrkampf ist Franz Borkenhagen geübt. Rudolf Scharpings Sprecher muss häufig Unangenehmes in gesetzt-glättende Sprache kleiden. Am Freitag aber kamen gleich mehrere Unannehmlichkeiten. Und Borkenhagen musste die weiße Fahne hissen. Zuerst im Sprecher-Duktus: "Ich kann die nötige Faktensicherheit nicht präsentieren." Dann noch einmal, allgemein verständlich: "Ich weiß nicht alles."

Ein Papier war aufgetaucht, ein Streifzug des Brigadegenerals Dieter Löchel, des Ausbildungsbeauftragten der Bundeswehr, durch die Niederungen des bewaffneten Alltags. Löchel hat Zitate gesammelt, was 2882 Soldaten ihm bei 71 Besuchen sagten. Die Bilanz ist verheerend. Materialmangel bis hin zu den Kampfstiefeln, Frust allerorten, von Karrieresorgen geplagte Offiziere, sich nach Auslandseinsätzen zurückgesetzt fühlende Soldaten, die Bundeswehr als dritte Wahl bei der Berufsentscheidung, Nachwuchs nur noch aus dem "Bodensatz der Gesellschaft", so kümmerlich qualifizierte Wehrpflichtige, dass sie nur zum "Handlanger" taugen. Hinzu kommen massive Vorbehalte gegen sowohl die militärische wie die politische Führung.

Nachsteuerungsbedarf

Borkenhagen musste am Freitag einordnen, was auf 30 Seiten des Löchel-Berichts steht. "Wir gedenken, das Personal- und Materialkonzept zu verbessern", sagte er. Es bestehe "Nachsteuerungsbedarf". Dies sei natürlich eine "permanente Aufgabe". Löchels Schilderung sei eine Momentaufnahme; generell gelte: "Der Minister geht von einer hohen Motivation und von der Bereitschaft der Truppe aus, die Reformen zu tragen." In der Bundeswehr herrsche "ein gutes Klima".

Freitag war nicht nur Löchel-Tag. Das Finanzministerium schickte einen Aktenstapel an den Haushalts-Ausschuss, der von Scharping erarbeitet und an den Kollegen Eichel weitergeleitet worden war: die Beschaffungsvorlage für den Militärtransporter A 400 M. Beide Ministerien haben sich kräftig darüber gestritten, ob der "commercial approach", die Zahlung erst bei Lieferung (also später, dafür aber höher), richtig ist. Eichel habe hierzu extra ein Gutachten erstellen lassen, das negativ ausfalle, sagt der Unions-Haushälter Austermann. "Es scheint in der politischen Führung der Regierung die Absicht zu bestehen, Scharping mit einer unbrauchbaren Vorlage scheitern zu lassen."

Zwei Dauerprobleme kommen hinzu. Erlöse der Privatisierungsgesellschaft Gebb existieren nicht. Und: Das Bundesverfassungsgericht wird über die Wehrpflicht befinden. Vor dem 10. April, dem Ende der Amtszeit von Jutta Limbach, soll die Entscheidung fallen. Seit 1999 liegt in Karlsruhe die Einschätzung des Landgerichts Potsdam, das die Wehrpflicht wegen der "fundamental veränderten sicherheitspolitischen Situation" für verfassungswidrig hält.

Rettung des Airbus-Projekts

Eben jene völlig neue Bedrohungslage ist auch der Grund für Überlegungen, Reservisten stärker an Auslandseinsätzen zu beteiligen. Generalinspekteur Harald Kujat hat ein Papier seines Stellvertreters Rainer Feist auf dem Tisch, dem zufolge komplette Einheiten für Kriseneinsätze aus Reservisten zusammengestellt würden - "auch gegen den Willen ihres Arbeitgebers", wie Feist schreibt. Dies alles sei "eine mögliche Option", die Kujat nun prüfe und gegebenenfalls Scharping vorlege, bestätigte Borkenhagen.

Jetzt geht es erst einmal um die Rettung des Airbus-Projekts. Austermann glaubt, ein Votum im Haushaltsausschuss sei nicht nötig: "Ohne Nachtragshaushalt oder Nachverhandlungen mit den europäischen Partnern erscheint eine Entscheidung sinnlos." Scharping wird weiter viel zu verteidigen haben.

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