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Kritiker: "Romanschreiben ist ein Volkssport in Deutschland"

«In Deutschland gibt es ja wenige Menschen, die keinen Roman geschrieben haben», sagte Marcel Reich-Ranicki am Montag vor der Verleihung der Ehrendoktorwürde an der Freien Universität Berlin.

Berlin - Das Schreiben von Romanen ist nach Ansicht des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki (85) zu einem «Volkssport» in Deutschland geworden. «Ich glaube, in keinem Land Europas ist das so verbreitet». Reich-Ranicki arbeitet im Moment an seinem Kanon der besten deutschen Essayisten. Darin hat er auch jeweils eine Arbeit seiner hartnäckigen Kritiker Joachim Fest und Martin Walser aufgenommen. Anders als in einigen Medien gemeldet, sei das aber kein Versöhungsangebot, sondern eine Selbstverständlichkeit, meinte Reich- Ranicki. An kleinen Nadelstichen gegenüber Fest und Walser ließ es Reich-Ranicki am Montag auch nicht fehlen.

«Im Falle von Fest habe ich seine Rede auf Horst Janssen ausgewählt. Ich finde, es ist ein Zeichen von Takt, dass ich keine seiner Arbeiten über Albert Speer genommen habe», sagte Reich- Ranicki. Martin Walser nehme er wirklich übel, dass sein Roman «Tod eines Kritikers», so schlecht geschrieben sei. «In einen Roman, in dem ich eine so große Rolle spiele, hätte er mich intelligenter kritisieren können.»

Reich-Ranicki betonte erneut, dass er immer zur Versöhnung mit seinen Gegnern bereit sei. Nur habe Fest bei einer zufälligen abendlichen Begegnung in Frankfurt am Main auf das angebotene «Guten Abend» zwei Mal eisig geschwiegen. Über Walser sagte Reich-Ranicki: «Wenn wir uns zufällig begegnen sollten, auf der Weidendammer Brücke, unweit des Bahnhofs Friedrichstraße, und sollten wir uns so begegnen, dass keiner dem anderen ausweichen kann, vielleicht würde ich ihm sagen: "Gehen wir mal einen Schnaps trinken". Vielleicht.»

Die Ehrendoktorwürde der Freien Universität nannte Reich-Ranicki eine späte Genugtuung. Berlin sei die Stadt, die ihn geprägt habe, betonte er. Am späten Nachmittag stand sein Festvortrag zum Thema «Berlin und ich» auf dem Veranstaltungsprogramm zur Ehrendoktorwürde, die bereits seine siebte ist. Am 2. Februar wird ihm die Ehrendorktorwürde der Universität Tel Aviv verliehen.

Die Vorläuferin der Berliner Humboldt-Universität, die Friedrich- Wilhelm-Universität, hatte dem Abiturienten Reich-Ranicki 1938 die Einschreibung für ein Germanistik-Studium auf Grund seines jüdischen Glaubens verweigert. In seiner Autobiografie «Mein Leben» bedauert der Kritiker mehrfach, dass er kein Literaturstudium absolvieren konnte. «An der Humboldt-Universität hat mich dort keiner gewollt und das hat sich bis heute nicht geändert», urteilte Reich-Ranicki. Auch Berliner Institutionen hätten sich, im Gegensatz zu München, Hamburg oder Zürich seit seiner Rückkehr nach Deutschland 1958 nicht um ihn bemüht. Auf eine Frage zur Bewertung des heutigen Berliner Kulturlebens sagte Reich-Ranicki: «Ich bin kein Selbstmörder». (tso/dpa)

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